Modul Wirtschaft: Empirisches
Grundbegriffe der Volkswirtschaft
Was müssen wir über die Wirtschaft wissen, in der wir leben, wenn wir sie in Richtung eines besseren Lebens für alle verändern wollen? Die eigene Erfahrung lehrt uns: Der Wirtschaft können wir als einzelne Person nicht entkommen. Wir nehmen immer direkt oder indirekt an ihr teil. Als Lohnabhängige oder Selbstständige wirken wir aktiv an der Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen mit, als Schüler/innen, Student/innen, Arbeitslose oder Pensionist/innen konsumieren wir jene Güter, die andere erzeugt haben. In wirtschaftlichen Krisenzeiten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir arbeitslos werden oder unseren Betrieb aufgeben müssen, der Staat spart bei den Sozialausgaben, viele von uns geraten in die Schuldenfalle.
Wenn wir über unsere Welt etwas aussagen wollen, sollten wir uns möglichst bewusst sein, mit welchen Methoden und Denkstrukturen wir an die Wirklichkeit herangehen. Die Alltagserfahrung lässt uns Beschreibungen verwenden, die von den meisten Mitmenschen geteilt werden. Obwohl auch sie von impliziten Theorien ausgeht, werden diese nicht klar ausgesprochen, vielfach sind sie gar nicht in unserem Bewusstsein gegenwärtig. In der Erkenntnistheorie sprechen wir von der „Erscheinung“ der Dinge zum Unterschied von ihrem „Wesen“, das unseren Sinnesorganen nicht direkt zugänglich ist und nur durch Abstraktion (also das Weglassen von unwesentlichen Aspekten der Dinge) erschließbar ist. Die Herausarbeitung des Wesens ist wissenschaftliche Tätigkeit.
Beispiel: Die Fallgesetze in der Physik besagen, dass alle Körper auf der Erde gleich schnell fallen (das Wesen). Tatsächlich fallen aber eine Gänsefeder und eine Metallkugel unterschiedlich schnell (Erscheinung). Das Naturgesetz des gleich schnellen Falls (das Wesen) kann nur durch Abstraktion von den Strömungskräften (in der Praxis näherungsweise durch Absaugen der Luft) erschlossen werden. Im Folgenden nähern wir uns der Wirtschaft auf der Ebene der Erscheinung. Erst später folgen wir den Einsichten von Marx und wenden uns dem Wesen zu.
Das Brutto-Inlandsprodukt
Die WirtschaftsforscherInnen haben eine Maßzahl, das Brutto-Inlandsprodukt (BIP) entwickelt, die anzeigt, wieviele Güter und Dienstleistungen in einem Land (in einem Jahr oder in einem Quartal) erzeugt werden. Das Wachstum des BIP sagt uns, ob ein Land ökonomisch im Aufwind ist oder in einer Rezession (Rückgang). Das BIP ist der am meisten verwendete Wirtschaftsindikator. In der EU ist die Publikation des BIP für alle Mitgliedsstaaten gesetzlich vorgeschrieben. Die Bundesanstalt Statistik Austria (früher Statistisches Zentralamt) veröffentlicht diese Kennzahl und viele andere Indikatoren über die österreichische Wirtschaft und internationale Daten.
Abbildung 1 zeigt die Entwicklung des BIP in Österreich seit 1955 bis 2016. Man könnte sich vorstellen, dass es sich beim BIP um einen Berg von Gütern und Dienstleistungen handelt, die jedes Jahr erzeugt werden. Wie man sehen kann, hat sich dieser Berg real (unter Weglassen der Preissteigerungen) versechsfacht. Die Kurve gibt an, wie groß das BIP in den einzelnen Jahren der Vergangenheit war, wobei das Preisniveau von 2016 zugrunde gelegt wurde. Wären die Güter und Dienstleistungen zu ihren Preisen berücksichtigt, könnte sich der Berg bei wachsenden Preisen erhöhen, obwohl real kein einziges Gut mehr erzeugt worden ist.
Der größte Rückgang des österreichischen BIP in der Nachkriegszeit erfolgte im Jahr 2009. Er war ein Resultat der Immobilien- und darauf folgenden Finanzkrise in den USA im Jahr 2008. Letztere breitete sich nach Europa aus.
Abbildung 1: Brutto-Inlandsprodukt real (zu Preisen 2016) 1955-2016
Quelle: Statistik Austria, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, verschiedene Jahre.
Es gab in der Nachkriegszeit aber auch andere Rezessionen (Rückgänge) der Wirtschaftsleistung in Österreich. Um sie deutlicher sehen zu können, ist es praktisch, Wachstumsraten des BIP zu berechnen. Abbildung 2 zeigt sozusagen den Puls der Wirtschaft. Sie gibt an, um wieviel Prozent das reale BIP pro Jahr wächst (oder in Krisenjahren auch schrumpft).
Abbildung 2: Das jährliche Wachstum des realen Brutto-Inlandsprodukts in Österreich
Quelle: Statistik Austria online
Das BIP ist trotz vieler Schwächen[1] eine wichtige Kenngröße. Wie die nach unten geneigte gerade Linie (der so genannte Trend) in Abb. 2 zeigt, ist das Wirtschaftswachstum in den vergangenen sechzig Jahren im Durchschnitt immer kleiner geworden. Bis 1975 lief die Wirtschaftsentwicklung mit Wachstumsraten zwischen 2 und beinahe 12 (!) Prozent ziemlich gut. Die hohen Wachstumsraten waren für den Wiederaufbau und die Modernisierung der Wirtschaft nötig. 1975 kam es zum bisher größten Einbruch im Wirtschaftswachstums. Die hohen Wachstumsraten wurden von einer Periode von Stagnationsjahren abgelöst, in denen in etwa Nullwachstum herrschte (1975, 1977, 1981, 1984 und 1993). An den niedrigen Wachstumsraten hat auch der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 nichts geändert. Im Gegenteil, der Wirtschaftseinbruch im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 war mit einer Schrumpfung von beinahe 4 Prozent der bisher größte in der Nachkriegszeit.
Vergleicht man die Wachstumsraten der Volksrepublik China der letzten beiden Jahrzehnte mit Österreich, schneidet Österreich ebenso wie die EU-Länder und die USA ihr gegenüber ziemlich schlecht ab. Andererseits ist ein hohes Wirtschaftswachstum mit hohem Ressourcenverbrauch und mit vermehrter Umweltbelastung verbunden. In dieser Hinsicht werden wir in allen entwickelten Ländern gut beraten sein, uns auf längere Sicht von positiven Wachstumsraten der Wirtschaft zu verabschieden und uns eher auf Umverteilen als auf Wachsen einzustellen.
Lohnabhängige und Arbeitslose
Jeder und jede weiß, dass der Reichtum an Gütern und Diensten, der jedes Jahr in Österreich zusätzlich zum bereits vorhandenen hinzugefügt wird, nicht vom Himmel fällt, sondern das Ergebnis menschlicher Arbeit ist. Bei einer Gesamtbevölkerung von 8,7 Millionen befanden sich 2016 etwas mehr als 3,5 Millionen Menschen in einem Lohnarbeitsverhältnis (Abb. 3, linke Skala). Etwas weniger als eine halbe Million war selbstständig.[2]
In Abbildung 3 zeigt sich eine paradoxe Entwicklung: Obwohl die Zahl der Lohnabhängigen von 1,7 Millionen (1946) bis um ca. 2 Millionen auf fast 3,7 Millionen (2017) zugenommen hat, wuchs auch die Zahl der Arbeitslosen (Abb. 3, rechte Skala) um rund zweihundertfünfzigtausend Personen. Man sollte erwarten, dass bei einer Zunahme der Lohnabhängigen die Arbeitslosen weniger werden. Aber dem ist nicht notwendigerweise so. Was die Grafik der Lohnabhängigen verschweigt, ist die durchschnittliche Arbeitszeit und die demographische Entwicklung. Die neuen Arbeitsplätze sind vor allem für Frauen vorwiegend Teilzeitarbeitsplätze (Abb. 4), und die Zuwanderung nach Österreich ist gestiegen, was zu einer Erhöhung des Arbeitskräftepotentials[3] geführt hat (Abb. 5).
Abbildung 3: Unselbständig Beschäftigte und Arbeitslose in Österreich
Quelle: Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Umwelt und Konsumentenschutz
http://www.dnet.at/elis/Tabellen/Arbeitsmarkt/xls/zeitreih_UB_AL.xlsx
Wie Abbildung 4 zeigt, ist die Zahl der Arbeitsverhältnisse für beide Geschlechter gewachsen, allerdings für Frauen weit stärker als für Männer. Die Frauen haben die Beschäftigung der Männer beinahe eingeholt. Allerdings sind nur rund 5 Prozent der Männer in Teilzeitbeschäftigung, aber fast die Hälfte der Frauen.
Abbildung 4: Beschäftigungsverhältnisse und Teilzeitbeschäftigung nach Geschlecht
Österreich 1994-2016
Quelle:
Statistik Austria online, Erwerbstätige und unselbständig Erwerbstätige nach
Vollzeit/Teilzeit und Geschlecht seit 1994
Durch die Zunahme der Wohnbevölkerung (Abbildung 5) gelangten mehr Personen auf den Arbeitsmarkt. Dies ist ein zweiter Grund für den Anstieg der Arbeitslosigkeit.
Abbildung 5: Entwicklung der Wohnbevölkerung in Österreich
Quelle: Statistik Austria online
Weitere Informationen über die Lage der arbeitenden Menschen finden sich hier.
Arbeitsproduktivität und Löhne/Gehälter
Bisher haben wir das Brutto-Inlandsprodukt als Indikator für die Summe der über den Markt gehandelten Güter und Dienstleistungen kennengelernt, also das, was die Erwerbstätigen in einem Jahr erzeugt haben. Ein weiterer Indikator, die Arbeitsproduktivität, ergibt sich, wenn wir das Brutto-Inlandsprodukt berechnen, das im Durchschnitt pro Erwerbstätigem/r erzeugt wird.
Bedeutung der Arbeitsproduktivität
Er ist besonders wichtig, zeigt er doch an, wie leistungsfähig eine Volkswirtschaft ist. Für Lenin war die Arbeitsproduktivität von besonderer Bedeutung, denn er war der Ansicht, dass sich ein sozialistisches Land auf längere Sicht ohne hohe Arbeitsproduktivität nicht wird halten können. Daher versuchte er, in der Sowjetunion durch verschiedene Methoden die Arbeitsproduktivität zu steigern. Die wichtigste war die Bildung. Innerhalb von zwanzig Jahren erreichte die Sowjetunion den Alphabetisierungsgrad der mittel- und westeuropäischen Länder vom Ende des 19. Jahrhunderts. Die zweite Methode war der Einsatz von technischen Hilfsmitteln. Lenins Slogan „Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“ wurde zum Ausgangspunkt für den Aufbau eines riesigen Netzes zur Erzeugung elektrischer Energie. Beide Entwicklungen schufen die Grundlage dafür, dass die Sowjetunion zur zweitgrößten Industriemacht der Erde aufstieg. Bis in die 1980er Jahre gelang es der Sowjetunion nicht, den Produktivitätsvorsprung der entwickelten kapitalistischen Welt einzuholen – die wichtigste Ursache für ihr Ende und das der realsozialistischen Welt.
In Österreich ist die Arbeitsproduktivität seit 1955 mit wenigen Ausnahmen immer gestiegen, das heißt, dass die lohnabhängige Bevölkerung beinahe jedes Jahr mehr erzeugte als im Vorjahr. Waren es 1955 noch weniger als 30.000 Euro pro Erwerbstätigem/r (rückgerechnet von den heutigen Daten), erreichte das Produktivitätsniveau 2016 etwas mehr als 93.000 Euro pro Jahr (Abb. 6). Die durchschnittliche Leistung eines Erwerbstätigen hatte sich mehr als verdreifacht. Auch in Österreich spielte dabei die Ausstattung mit moderner Technologie eine wesentliche Rolle. Allerdings gibt es seit 2007 nach dem Einbruch 2009, der durch die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise verursacht wurde, bisher keine großen Zuwächse mehr.
Abbildung 6: Entwicklung der Arbeitsproduktivität (gemessen am realen Brutto-Inlandsprodukt pro Erwerbstätigem/r) und der Netto-Reallöhne nach Geschlecht 1997-2016.
Quellen: Arbeitsproduktivität: BIP zu laufenden Preisen aus
der Publikation der Statistik Austria "Volkswirtschaftliche
Gesamtrechnungen 1995-2016", Tabelle 1, für das Jahr 2015, fortgeschrieben
mit den verketteten Volumenindizes des BIP aus Tabelle 8. Das so erhaltene BIP
wurde durch die Zahlen der Erwerbstätigen aus der Tabelle 12 dividiert.
Einkommen: Medianeinkommen aus den Daten der Statistik
Austria (online) für die Nettojahreseinkommen der Unselbständigen (Median), die
für Männer und Frauen getrennt ausgewiesen werden. Sie wurden mit dem HJVPI
(Harmonisierter Verbraucherpreisindex 2015, ebenfalls online von Statistik
Austria) in reale Einkommen umgerechnet.
Wie sah es aber mit der Abgeltung dieser gestiegenen Leistung aus? Abbildung 6 zeigt den ersten Skandal: Obwohl die pro-Kopf-Leistung der Werktätigen seit 1997 fast um ein Drittel anstieg, blieben die Netto-Reallöhne (Löhne nach Abzug der Steuern und der Preissteigerungen) dagegen bis heute auf etwa dem gleichen Niveau wie 1997. Der Slogan: „Leistung muss sich lohnen“ ist in Österreich nicht erfüllt. Dagegen lernen wir aus diesen Fakten: Lohnarbeit lohnt sich nicht! Die volle Wirklichkeit ist noch schlimmer: Auch bei den Lohneinkommen stiegen die höheren weiter an, während die niedrigen in der Tendenz zurückgingen.
Ein zweiter Skandal lässt sich aus Abbildung 6 ablesen: Seit zwanzig Jahren ist – trotz vieler Beteuerungen der Politik, dass sich dies ändern müsse – der Netto-Reallohn der Frauen um ein Drittel niedriger geblieben als jener der Männer. Diese Grafik zeigt, dass die Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bisher unerfüllt geblieben ist.
Genauere Auskünfte über die soziale Lage in Österreich gibt der jüngste Sozialbericht des Sozialministeriums, Sozialpolitische Entwicklungen und Maßnahmen 2015-2016. Sozialpolitische Analysen.
Effektivierung und
Humanisierung (zu überarbeiten in verständlicherer Sprache!!!)
Abbildung 6 bietet eine gute Gelegenheit, zwei Begriffe einzuführen, die eine Einschätzung der Qualität einer Gesellschaft erlauben. Effektivierung und Humanisierung sind das Begriffspaar, das einerseits die Virtuosität einer Gesellschaft im Umgang mit der Natur, andererseits den Grad des humanen Umgangs mit ihren Mitgliedern zum Ausdruck bringen soll. Effektivierung lässt sich durch die Produktivität der Arbeit ausdrücken, in marxistischen Begriffen durch den Stand der Produktivkräfte (der Entwicklungsgrad menschlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie der Stand von Wissenschaft und Technik). Humanisierung weist auf die Teilhabe der Menschen einer Gesellschaft am Gemeinwesen hin. Gibt es demokratische Mechanismen, die es den Mitgliedern erlauben, auf die Entwicklung ihrer Gesellschaft Einfluss zu nehmen? Werden die sozialen und individuellen Menschenrechte eingehalten? Werden politische Lösungen von Konflikten der Anwendung von Gewalt vorgezogen?
Die beiden Kenngrößen haben den Vorteil, dass sie fraktal, das heißt, auf unterschiedliche Ebenen, angewandt werden können. Sie lassen sich auf die globale Ebene, auf die Ebene eines Wirtschaftsraums, auf die nationale oder regionale Ebene genauso beziehen wie auf die Ebene eines einzelnen Betriebs.
In Abbildung 6 ist der Grad der Effektivierung in Österreich anhand der Entwicklung der Arbeitsproduktivität abzulesen, der Grad an Humanisierung am realen Netto-Medianeinkommen von Männern und Frauen. Während die Effektivierung zumindest bis zur großen Krise 2009 ziemliche Fortschritte gemacht hat, ist es mit der Humanisierung nicht weit her. Die Zuwächse des BIP gelangten nicht in die Taschen der Lohnabhängigen, außerdem haben Frauen nach wie vor wesentlich geringere Löhne und Gehälter als Männer.
Investitionen – die
Triebfeder der Wirtschaft
Die für das Wirtschaftswachstum wahrscheinlich wichtigste Kenngröße sind die Investitionen. Sie lassen sich in Bau- und Ausrüstungsinvestitionen unterteilen. Die Ausrüstungsinvestitionen bestehen aus Maschinen, Fahrzeuge, Computer, Einrichtungsgegenstände usw. Das Kennzeichen gegenüber Konsumgütern ist, dass sie in Betrieben Anwendung finden und dass sie eine Lebensdauer von länger als einem Jahr haben. Werden Güter im Betrieb in kürzerer Zeit verbraucht, sprechen die Ökonomen von intermediären Lieferungen. Sie bestehen aus Roh- und Hilfsstoffen oder Halbfertigwaren, aber auch aus Energieträgern.
Man kann davon ausgehen, dass größere Investitionen zu höheren Produktionskapazitäten führen. Ein höheres Wirtschaftswachstum entsteht erst, wenn die kaufkräftige Nachfrage nach den Produkten, die erzeugt werden, tatsächlich vorhanden ist. Sind die Löhne und Gehälter im Verhältnis zum Angebot an Gütern zu niedrig, versuchen die Unternehmen, in den Export auszuweichen und dort ihre Waren zu verkaufen.
Wie Abbildung 7 zeigt, ist die Investitionstätigkeit als Prozentsatz am BIP in den letzten 20 Jahren im Trend deutlich gesunken. Investitionen werden entweder brutto oder netto angegeben. Die Netto-Investitionen ergeben sich aus den Brutto-Investitionen durch Abzug der volkswirtschaftlichen Abschreibungen (sozusagen die jährliche Abnützung der Bauten und Ausrüstungsgegenstände). Sie stellen in etwa den Zuwachs an Kapital in der Volkswirtschaft dar.
Abbildung 7: Brutto- und Netto-Investitionen am Brutto-Inlandsprodukt in Prozent
Quelle: Statistik Austria. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung 1995-2016, Tabelle 17 und Tabelle 20.
Die Investitionsquoten Österreichs sind etwa halb so groß wie etwa jene der Volksrepublik China. Sie führen zu einem wesentlich geringeren Wirtschaftswachstum. Dennoch nimmt der gesamte Kapitalbestand der österreichischen Wirtschaft – wenn auch langsamer - zu.
Investitionen sind nicht nur für die quantitative Entwicklung der Wirtschaft verantwortlich. Es ist genauso wichtig, in welche Betriebe und welche Produkte oder Dienstleistungen investiert wird und wer darüber bestimmt. Es ist nicht gleichgültig, ob in Rüstungsgüter, in Atomwaffen oder in Krankenhäuser, Schulen oder andere soziale Infrastruktur investiert wird. Wie wir noch genauer sehen werden, ist in einer kapitalistischen Wirtschaft nicht das Wohl der Menschen vorrangig, sondern ob durch die Investitionen Gewinne erzielt werden können.
Außenhandel
Die für eine Volkswirtschaft wichtigen Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland werden durch Exporte (Verkauf von Waren und Dienstleistungen ins Ausland) und Importe (Kauf von Waren und Dienstleistungen vom Ausland) gemessen. Wie Abbildung 8 zeigt, ist die österreichische Wirtschaft mit dem Ausland stark verflochten. Sowohl die Exporte wie die Importe machen 2017 etwa die Hälfte des BIP aus. Die Differenz zwischen Waren-Exporten und Waren-Importen wird Handelsbilanz genannt, die Differenz zwischen Dienstleistungs-Exporten und Dienstleistungs-Importen heißt Dienstleistungsbilanz. Sie besteht vorwiegend aus dem Fremdenverkehr und Transport- und Versicherungsleistungen. Die Differenz zwischen allen Exporten und Importen wird Außenbeitrag genannt. Der Außenbeitrag stellt den wichtigsten Teil der Leistungsbilanz dar, die darüber hinaus den Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen und die laufenden Übertragungen (z. B. Geldüberweisungen von ausländischen Arbeitskräften) umfasst.
Sind die Importe größer als die Exporte, müssen im Ausland Kredite aufgenommen werden, mit denen der Differenzbetrag abgedeckt wird. In Österreich ist der Außenbeitrag in den letzten Jahren vor allem durch den Fremdenverkehr positiv gewesen, d. h. die Einnahmen aus dem Ausland übersteigen die Ausgaben für Importe, eine für die heimische Wirtschaft günstige Situation, aber mit negativen Auswirkungen für die anderen Länder. Für stabile internationale Wirtschaftsbeziehungen wäre ein Außenbeitrag von Null von Vorteil, wenn also die Exporte gleich groß wie die Importe sind. Dies war auch die Vorgabe in den Ländern des Realsozialismus.
Abbildung 8: Exporte und Importe in Mrd. Euro
Preisentwicklung
Die Preise der Waren sind vor allem für Menschen mit niedrigem Einkommen von besonderer Bedeutung, weil sich nach ihnen der Lebensstandard richtet, den sie sich leisten können. Die Wirtschaftsforschung hat Methoden entwickelt, die es erlauben, die Veränderungen der Preise für bestimmte Warengruppen zu beobachten. Der Verbraucherpreisindex (VPI) zeigt Preissteigerungen für bestimmte Konsumgütergruppen an. Er gibt also das Ausmaß des Geldwertverlustes an, das die Endverbraucher trifft. Weiters wird er für Wertsicherungen und bei Lohnverhandlungen verwendet.
Steigen die Preise des privaten Konsums stärker als die Löhne oder Gehälter, kommt es zu realen Verlusten. Die Kaufkraft der Löhne und Gehälter sinkt. In Kollektivvertragsverhandlungen oder in Verhandlungen über Betriebsvereinbarungen sollte die Gewerkschaft bzw. der Betriebsrat versuchen, diese Einbußen durch Lohn/Gehaltssteigerungen zu kompensieren.
Da sich das Verhalten der KonsumentInnen beständig ändert, muss der Warenkorb, der für die Berechnung des Preisindex herangezogen wird, alle fünf Jahre an die reale Entwicklung angepasst werden. Daher veröffentlicht die Statistik Austria verschiedene Verbraucherpreisindizes, denen unterschiedliche Warenkörbe aus den angegeben Jahren zugrunde liegen (z. B. VPI 2015).
Bis 2016 wurde für PensionistInnen-Haushalte ein eigener Index berechnet, um die besondere Situation der älteren Menschen bei den Verhandlungen um die Pensionserhöhungen berücksichtigen zu können. Statistik Austria hat nach 15 Jahren mit Jänner 2016 die Berechnung des Preisindex für PensionistInnen-Haushalte leider eingestellt.
Abbildung 9: Veränderung der Preise für den privaten Konsum und der Importe in Prozent pro Jahr
Quelle: WIFO Datenbank online
Die Nachfrageschwäche, die als Folge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise aufgetreten ist, hat in der Europäischen Union im Unterschied zu Österreich zu relativ kleineren Preissteigerungen[4] oder sogar zu Preisrückgängen geführt. Die Wirtschaftspolitik der EU will solche rückläufigen Preise vermeiden, denn dadurch könnte es zu Kaufzurückhaltungen kommen. Vor allem die Investoren werden auf eine noch größere Verbilligung der Güter warten und ihre Investitionen aufschieben. Die Europäische Zentralbank hat daher seit 2015 versucht, die Inflationsrate durch monatliche Geldspritzen von zunächst 80 (!) Mrd. Euro auf 2 Prozent pro Jahr zu steigern, allerdings mit nur geringem Erfolg.
Modul Wirtschaft: Theoretisches
Grundzüge
der politischen Ökonomie
Marx und Engels haben versucht, von der sichtbaren Oberfläche durch Theorienbildung zum Wesen der kapitalistischen Wirtschaft vorzudringen. Marx hat im ersten Band seines Hauptwerks „Das Kapital“, den er noch selbst herausgeben konnte, das Grundelement des kapitalistischen Reichtums identifiziert. Dabei ist er ähnlich wie in der Physik und in der Biologie vorgegangen. In der Physik seiner Zeit wurde das Atom als nicht mehr weiter teilbarer Baustein der Materie angesehen, in der Biologie nahm die Zelle diesen Platz ein. Das Kapital beginnt mit folgenden Worten:
„Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische
Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘, die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung
beginnt daher mit der Analyse der Ware.“
Marx befasst sich ausführlich damit
zu bestimmen, was den Begriff Ware
ausmacht. Schon Aristoteles stellte
zwei Verwendungsmöglichkeiten eines Gegenstandes fest – auch heute noch wesentlicher
Bestandteil der Definition der Ware:
„Die eine hängt wesentlich vom
Gegenstand selbst ab, die andere nicht, wie Sandalen, die getragen werden, auch
getauscht werden können. Beide sind Verwendungen der Sandalen, denn auch
derjenige, der die Sandalen gegen Geld oder gegen Nahrungsmittel austauscht,
die er benötigt, gebraucht die Sandalen als Sandalen, jedoch nicht auf ihre
natürliche Art. Denn Sandalen wurden nicht dazu hergestellt, dass sie getauscht
werden“ (Aristoteles, “De Rep.” l. i. c. 9.).
Mehr als 2000 Jahre später, im Jahre 1776 wiederholte der berühmte Adam
Smith, einer der wichtigsten Vertreter der klassischen Periode der
Wirtschaftswissenschaften, die Unterscheidung des Aristoteles, diesmal auf der
Ebene des Wertes eines Gegenstandes: „Man sollte festhalten, dass das Wort Wert
zwei unterschiedliche Bedeutungen besitzt. Manchmal drückt es die Nützlichkeit
eines bestimmten Gegenstandes aus, und manchmal seine Kraft, andere Güter zu
erwerben. Die erste Bedeutung könnte man „Gebrauchswert“ nennen, die zweite
„Tauschwert“ (The Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations,
Book 1, Chapter 4).
Marx hielt an dieser doppelten Bestimmung der Ware fest, wobei er sowohl
den Tauschwert als auch den Gebrauchswert als Ergebnis menschlicher Arbeit
ansah. Den Doppelcharakter der Ware übertrug er auch auf den Arbeitsbegriff. Als
konkrete Arbeit erzeugt sie nützliche Dinge, Gebrauchswerte, als abstrakte
Arbeit ist sie die Quelle des Tauschwerts. Damit konnte er erklären, wie ein
Tausch von Gütern in entwickelten Wirtschaften von statten geht. Es werden qualitativ
unterschiedliche Güter (mit unterschiedlichen Gebrauchswerten) gegen quantitativ
gleichwerte Güter (mit gleichen Tauschwerten) ausgetauscht. Aus dieser
Tauschbeziehung leitet Marx das Geld ab. Wenn sich Geld gegen jede beliebige
Ware tauschen lässt, wird es zur allgemeinen Ware. Es dient als allgemeines
Äquivalent, indem es menschliche Arbeitszeit repräsentiert.
Ein Video in englischer Sprache von David Harvey zum Beginn von Kapital
Band I findet sich hier.
Güter werden Waren…
In der Geschichte lassen sich viele Beispiele dafür finden, dass nützliche
Dinge, also reine Gebrauchswerte, in Waren übergehen. Der moderne Begriff für
diesen Transformationsprozess ist Kommodifizierung.
Wir sind Zeugen neuer Transformationsprozesse, wo nützliche Dinge ihr Wesen
verändern und zu Waren werden, also Gebrauchswert und Tauschwert besitzen.
Während
mittelalterliche leibeigene Bauern Ackerbau und Viehzucht für den Feudalherrn
und für sich selbst betrieben, erzeugen die Bauern des 21. Jahrhunderts beinahe
alles für den Markt, und behalten nur einen Bruchteil ihrer Erzeugnisse für
sich selbst.
Im Zuge kapitalistischer Entwicklung wurden auch zwei andere zentrale Bereiche der Wirtschaft kommodifiziert: Geld und Unternehmen. Heute können Kredite zu einem bestimmten Preis des Geldes, dem Zinssatz, aufgenommen werden. Der Aktienmarkt ermöglicht es, Anteile (shares) eines Unternehmens zu kaufen (über shares).
Leasing von Transportmitteln oder Maschinen stellen Prozesse der Kommodifizierung zweiter Ordnung dar. Sie nützen den Unterschied zwischen dem Eigentum an der Maschine und den Diensten, die sie leistet. Während das Auto im Eigentum der Leasing-Firma bleibt, werden seine Dienste dem Klienten verkauft. Auf diese Weise werden zwei Märkte bedient, und nicht nur einer.
Im Zuge der neoliberalen Wirtschaftspolitik sehen wir in Europa in den
letzten Jahren ein anderes Feld für die Kommodifizierung, den Wohlfahrtsstaat. Immer
mehr Dienste, die einst als staatliche Leistung für die Bürger gratis waren,
werden nunmehr teilweise kostenpflichtig von der Sozialversicherung über den
Selbstbehalt, oder direkt von privaten Unternehmen angeboten. Ausbildung,
öffentlicher Verkehr, Gesundheitsdienste, Wasserversorgung, Straßenbenützung,
die früher aus dem Steuertopf oder der Sozialversicherung bezahlt wurden und
der Bürgerin direkt nichts kosteten, müssen nun bezahlt werden. Diese
Kommodifizierung nennen wir üblicherweise Privatisierung.
In den letzten Jahrzehnten wurde Outsourcing von Teilen öffentlicher
Einrichtungen eine Modeerscheinung: Buchhaltung, Telefondienst, Transport,
Marketing, Qualitätskontrolle oder sogar die Produktion intermediärer Güter
selbst wurden ausgelagert und den Marktkräften unterworfen. Alle diese Bereiche
stellen neue Felder für Gewinne dar.
Durch
die Informations- und Kommunikationstechnologien wurden und werden durch
Digitalisierung und Speicherung im Binärcode viele kulturelle Bereich der
Kommodifizierung zugänglich gemacht: Über CDs, Videos, Audio- oder Textdateien
werden aus bloßen Gesprächen oder der marktfernen Aufführung von Musik- und
Theaterstücken (also reinen Gebrauchswerten) Waren, die über den Markt verkauft
werden. Um die Möglichkeit der Vermarktung aufrecht zu halten, werden zusätzlich
Gesetze zum Schutz der Urheberrechte und des Kopierens (copyrights) erlassen, die das freie Vervielfältigen dieser Dateien
unter Strafe stellen.
… und umgekehrt
Der Kommodifizierungsprozeß ist jedoch keine Einbahnstraße. Es gibt auch Dekommodifizierungsprozesse. Waren
können in das Reich der Selbstbedienung verschoben werden: Möbelbau,
Teppichweben, und Brotbacken sind nur einige Beispiele, wo der frühere Markt
der Produkte ersetzt wird durch einen Markt für die intermediären Güter, die
für die Konstruktion und Herstellung des Gebrauchswertes im Haushalt benötigt
werden. Diese Verschiebung gibt es auch im Bereich der Dienstleistungen:
Geldautomaten, Self-Service-Restaurants oder Münzautomaten ersetzen die
Tätigkeit von Angestellten durch Eigenarbeit der Kunden.
Welche Folgen haben diese Kommodifizierungsprozesse? Durch die Auslieferung
von Gütern und Dienstleistungen an die Gesetze des Marktes werden die Preise vorwiegend
unter Gewinngesichtspunkten festgesetzt. Es geht nicht mehr um die Befriedigung
von Bedürfnissen, sondern um das Vorhandensein von kaufkräftiger Nachfrage.
Während der Staat als Produzent bei der Preisbildung soziale oder kulturelle
Gesichtspunkte berücksichtigt, wird eine private Unternehmung den Preis
aufgrund von Angebot und Nachfrage festlegen. In den meisten Fällen bedeutet
dies eine Verteuerung der Produkte für die Käufer, ebenso wie etwa bei den
britischen Bahnlinien eine Privatisierung zu einer Verschlechterung der
Qualität und zu einem Verfall der Infrastruktur führte.
Arbeitskraft
als Ware
Die
Arbeit selbst wurde im Lauf der Geschichte am Markt gehandelt. Während im
Feudalismus die Leibeigenen an das Land des Grundherren gebunden waren und mit
dessen Produktionsmitteln arbeiteten, sind im Kapitalismus die Arbeitenden von
ihren Produktionsmitteln getrennt und frei von der Bindung an die Scholle: Frei
in einem doppelten Sinn: Frei von feudalen Bindungen, und frei, das einzige
Gut, das sie noch besaßen, nämlich ihre Arbeitskraft, zu Markte zu tragen. Die
direkte Aneignung des Überschusses der Arbeit der Leibeigenen in Form von
Fronarbeit (ein bestimmter Anteil an der gesamten geleisteten Arbeitszeit) oder
Zehent (in Naturalien, später in Geld) wurde im Kapitalismus in eine indirekte Form
verwandelt. Heute kann sich ein Unternehmer ganz legal die Differenz zwischen
den Erlösen der von den Arbeitskräften produzierten Waren und den Löhnen, die
er ihnen bezahlt, aneignen. Die Arbeitskraft ist die einzige Ware, die unter
geeigneten Bedingungen mehr erzeugen kann als sie selbst zu ihrer Reproduktion
verbraucht. Die Differenz in Arbeitszeit gemessen wird Mehrwert genannt, in Gütern gemessen Mehrprodukt, in Geld gemessen Profit. Er wird zur Grundlage der
Akkumulation von Kapital und von Wirtschaftswachstum. Marx hat gezeigt, dass das,
was als Profit in die Taschen der Kapitalisten wandert, nichts anderes ist als
das, was den ArbeiterInnen und Angestellten unseres Landes vorenthalten wird.
Die Lohnabhängigen erhalten zwar Lohn für ihre Arbeit, aber sie leisten für die
Unternehmer mehr als sie von ihnen bezahlt bekommen. Die Höhe des Lohns oder
Gehalts ist sehr unterschiedlich. Die sogenannten working poor erhalten einen Lohn, der nicht genug ist, um ein
anständiges Leben zu führen. Am anderen Ende der Lohnskala stehen die
Top-Manager, die nicht wissen, was sie mit ihren Prämien und Bonuszahlungen in
Millionenhöhe anfangen sollen, die sie für dubiose Spekulationen erhalten.
Insgesamt bleibt aber immer noch genug Profit für die Unternehmen aller Art und
der Anteil der Profite am Sozialprodukt wächst.
Ein
wenig Mathematik
Wollen wir unter Anleitung von Marx’s Kapital die Wirtschaft genauer
verstehen, lohnt es sich, uns den Inhalt seiner Theorie vor Augen zu führen,
die er in den drei Bänden seines Hauptwerks auf mehr als 1000 Seiten ausgebreitet
hat. Ich muss hier abkürzen und wiederhole nur einige Ergebnisse seiner
Untersuchung.
Um das Wesen des Kapitalismus herauszuarbeiten, begeben wir uns wie in
anderen Wissenschaften auf eine abstrakte Ebene, die nicht unbedingt mit dem
übereinstimmt, was wir auf der Ebene der Erscheinung beobachten können. Marx
bestimmt den Wert einer Ware (w)
durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, die für ihre Produktion
benötigt wird. Er setzt sich aus der
vorgetanen Arbeitszeit (c, also der Zeit, die in den Vormaterialien und
Hilfsstoffen steckt) und der neu hinzugefügten lebendigen Arbeitszeit (n)
zusammen. In einer Formel können wir dann schreiben
w = c + n
Im Kapitalismus zerfällt der neu hinzugefügte Wert (n) in einen Teil, der
als Lohn ausgezahlt wird (v), und in einen anderen (m), der die Grundlage für
den Profit bildet.
n = v + m
Marx nennt v das variable Kapital.
„Kapital“, weil es der Kapitalist aus seinem Vermögen oder über Kredite
finanziert vorschießt (was in der heutigen Praxis nicht immer zutrifft, da die
Löhne manchmal erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgezahlt werden), und
„variabel“, weil es mehr Wert erzeugt als der Unternehmer als Lohn bezahlt. c
nennt er konstantes Kapital, da sein
Wert nur auf die neue Ware übertragen wird und keine Wertzuwachs dadurch
möglich wird.
Zusammenfassend kommt frau/man auf die berühmte Marxsche Formel
w = c + v + m,
was nichts anderes heißt, als dass sich der Wert einer Ware (oder auch die
Summe aller Waren einer Region oder eines Landes) aus konstantem Kapital (c),
variablem Kapital (v) und Mehrwert (m) zusammensetzt.
Damit können wir die zentralen Grundbegriffe der marxistischen politischen
Ökonomie formulieren. Beginnen wir mit der Profitrate
r, die besagt, um wie viel ein Unternehmer sein eingesetztes Kapital in einer
bestimmten Zeit vermehren kann. Dies sieht so aus, als ob sein Geld arbeiten
würde, was sich bei näherer Betrachtung als Unsinn herausstellt, da der
Wertzuwachs durch menschliche Arbeit erzeugt wird. In Formeln angeschrieben ist
die Profitrate das Ergebnis einer Division des Mehrwerts durch das
vorgeschossene Kapital
r = m / (c + v).
Die Profitrate kann auch als Ertragslage eines Investors gedeutet werden,
da sie die Frage beantwortet: Wie viel EUR erhalte ich für eine Investition von
einem EUR?
Allerdings ist einschränkend anzumerken, dass in der beobachtbaren Wirklichkeit
noch zusätzliche Einflussgrößen ins Spiel kommen, die bisher vernachlässigt
wurden. So spielt etwa die Umschlagszeit des Kapitals eine Rolle, also die
Zeit, die zwischen dem Vorschuss des Kapitals und der Realisierung eines
Profits aus dem Verkauf der Ware am Markt verstreicht. Will man die Profitrate
bezogen auf ein Jahr berechnen, muss diese Umschlagszeit explizit
berücksichtigt werden. Sie wird überdies für die verschiedenen Bestandteile des
konstanten Kapitals c unterschiedlich sein. Unterteilen wir wie Marx das
gesamte vorgeschossene Kapital c in das fixe Kapital cf (etwa
ausgegeben, um Maschinen und Gebäude zu kaufen) und das zirkulierende Kapital cz
(ausgegeben für Roh- und Hilfsstoffe, Vorprodukte usw.), können wir eine Formel
für die jährliche Profitrate angeben
rj = M / (cf + Cz . Tz + V . Tv),
wobei sich die Großbuchstaben Cz, V und M auf die jährlichen Werte von zirkulierendem Kapital, Löhnen und Profiten beziehen. Tz ist die Umschlagszeit für das zirkulierende Kapital, Tv die Umschlagszeit für die vorgeschossenen Löhne. Diese Formel macht deutlich, warum mit der kapitalistischen Entwicklung eine Beschleunigung der Produktion einhergeht. Das Bestreben des Managements, die Profitrate zu erhöhen, kann nicht nur durch eine Vergrößerung von M und durch eine Verkleinerung von c und V erreicht werden, sondern auch durch eine Verringerung der Umschlagszeiten Tz und Tv.
Die abstraktere Formel der Profitrate bietet weitere Möglichkeiten, mit ihr
zu spielen. So kann man nach den Regeln der Bruchrechnung den Zähler und den
Nenner mit der gleichen Zahl multiplizieren, ohne den Wert zu verändern. Wenn
wir das tun, indem wir mit dem variablen Kapital v, also den Löhnen
multiplizieren, erhalten wir eine andere Darstellung der Profitrate
r = m/v . v/(c + v).
Die Formel zerfällt in zwei Teile, die miteinander multipliziert werden
müssen, um die Profitrate zu erhalten. Den ersten, m/v, nannte Marx Mehrwertrate, die besagt, wie viel
Mehrwert der Unternehmer erhält, wenn er dem Arbeiter oder der Arbeiterin einen
bestimmten Lohn bezahlt. Den zweiten Teil v/(c + v) nenne ich organische Zusammensetzung des Kapitals.[5] Er drückt den Anteil der Löhne am gesamten
vorgeschossenen Kapital aus. Die kapitalistische Konkurrenz bewirkt, dass die
Unternehmer den Anteil der Löhne (variables Kapital) verringern und die
arbeitenden Menschen durch billigere Maschinen (konstantes Kapital) ersetzen
möchten. Dadurch fällt die organische Zusammensetzung, die als Maß für die
Technisierung der Produktion angesehen werden: Je größer der
Technisierungsgrad, desto kleiner die organische Zusammensetzung.
Weiterführende
Überlegungen zur Werttheorie finden sich hier.
Zur Profitrate
Über
die längerfristige Entwicklung der Profitrate ist im vergangenen Jahrhundert
viel gestritten worden. Marx selbst hat im dritten Band des Kapital das Gesetz
vom tendenziellen Fall der Profitrate angeführt. Es sagt aus, dass in der
kapitalistischen Wirtschaft gesetzmäßig, also aufgrund von Eigenschaften der
kapitalistischen Wirtschaft selbst, eine Tendenz zur Verringerung der
Profitrate im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt bestehe. Anders als seine
Anhänger war aber Marx klug genug, nur von einer Tendenz des Falls der
Profitrate zu sprechen. Als dialektisch Denkender wusste er, dass es Faktoren
gibt, die dieser Tendenz entgegenwirken. Und solche Tendenzen treten in den
letzten Jahrzehnten kräftig in Erscheinung. Allen voran sind es technische
Innovationen, die einerseits die Herstellung von Waren und Dienstleistungen
verbilligen und beschleunigen (Prozessinnovationen), und durch neue Produkte
profitable Märkte erschließen (Produktinnovationen), andererseits aber auch die
Verschiebung des Machtgefüges zwischen Kapital und Arbeit, indem die
Steuerbelastung zugunsten der Unternehmer verändert, indem das Feuern von
Arbeitskräften erleichtert oder indem die Arbeitszeit flexibilisiert wird usw.
Das Zurückbleiben der Lohneinkommen verbessert zwar die Profitsituation der
einzelnen Betriebe, die niedrigeren Lohneinkommen schlagen sich aber in einem
geringeren Umsatz der Betriebe nieder (die „effektive Nachfrage“ schrumpft),
was die Unternehmer im Gegenzug zu verstärkten Anstrengungen führt, ihre Waren
im Ausland anzubieten, also zu exportieren. In der Krise ist aber gerade der
Export um 15 – 20 Prozent eingebrochen, was im weiteren Verlauf zu Kündigungen
und Kurzarbeit führt und damit wieder die Lohneinkommen reduziert hat.
Märkte
Hier soll auf eine weitere Funktion von Märkten aufmerksam gemacht werden, die auch positive Folgen haben kann. Ein Markt, auf dem freie Konkurrenz herrscht, ist dadurch gekennzeichnet, dass mehrere etwa gleich starke Anbieter ähnliche Produkte produzieren. Die Käufer können sich aussuchen, welche Produkte bei welchem Preis sie kaufen. Sind die Preise eines Anbieters zu hoch, werden sich nur wenige Käufer dafür entscheiden und werden zu jenem Preis kaufen, der für sie günstig ist. Anbieter, die hohe Kosten in der Produktion haben, werden Verluste einfahren, jene, die niedrige Kosten haben, können höhere Gewinne machen. Dadurch entsteht mittel- bis längerfristig eine Bevorzugung der effizienteren Anbieter, etwa von jenen, die mit besseren Maschinen arbeiten, dadurch weniger Beschäftigte benötigen oder weniger Rohstoffe und Energie verbrauchen. Die Verlustbetriebe werden nach und nach vom Markt verschwinden, während die effektiven eventuell noch wachsen. Durch diesen Mechanismus entsteht gleichsam automatisch eine gesellschaftliche Tendenz in Richtung modernerer Technologie. Technologische Veränderungen setzen sich leichter durch als in anderen Wirtschaftssystemen ohne Konkurrenz. Allerdings funktioniert dieser Mechanismus nur, wenn die Marktteilnehmer zu einigermaßen vergleichbaren Bedingungen arbeiten. Auf Märkten mit einem großen Anbieter (Monopolist) oder wenigen großen Anbietern (Oligopolisten) werden sich die technischen Verbesserungen wahrscheinlich langsamer verbreiten als bei freier Konkurrenz. Der Markt belohnt also die Guten (die Effektiven), und schickt die Schlechten (die hohe Herstellungskosten haben) in den Schuldturm.
Wahrscheinlich war das Fehlen der Konkurrenz im Realsozialismus dafür verantwortlich, dass technische Innovationen sich nicht so rasch in der ganzen Wirtschaft durchgesetzt haben und letztlich die Produktivität hinter der Produktivität des Westerns zurückblieb.
Natürlich darf aber auch die negative Seite dieses Innovationsprozesses nicht vergessen werden. Finden die Arbeitskräfte bei teilweiser Automatisierung ihres Betriebs keinen anderen Arbeitsplatz, ist in einer kapitalistischen Wirtschaft Arbeitslosigkeit die Folge, was durch die Vollbeschäftigungspolitik des Realsozialismus weitgehend verhindert wurde.
Finanzialisierung der Wirtschaft
Modul Wirtschaft: Anwendungsbeispiele
Die Ausweitung
emanzipatorischer Strukturen
im Kapitalismus
Welche Möglichkeiten bieten sich uns heute, die
kapitalistische Gesellschaft näher an sozialistische Strukturen heranzuführen? Viele kommunistische Parteien haben in der
Vergangenheit die Oktoberrevolution in Russland als das Vorbild revolutionärer
Veränderungen betrachtet. Heute sind die Bedingungen für eine solche Art der
Machtübernahme so gut wie nicht gegeben. Wir müssen von den vorhandenen
Strukturen im Kapitalismus ausgehen und diese in Richtung Emanzipation
transformieren. Dadurch erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit einer gesellschaftlichen
Transformation. Eigentlich ist diese Strategie in der politischen Praxis linker
Parteien ohnehin allgegenwärtig, wenn sie sich für leistbares Wohnen,
Energiesicherung oder ein Bedingungsloses
Grundeinkommen einsetzen.
Der US-amerikanische Marxist Erik Olin Wright[6] hat
in seinem Buch »Reale Utopien – Wege aus dem Kapitalismus« die gegenwärtige
Situation einer wissenschaftlichen Analyse unterworfen. Dazu bietet er einige
theoretische Überlegungen und entwickelt einen »sozialistischen Kompass«, der
uns eine Orientierungshilfe bieten soll, auch dann, wenn wir noch weit vom
»Sozialismus« entfernt sind.
»In Ermangelung eines umfassenden
Institutionenentwurfs für eine radikal demokratische, egalitäre Alternative zum
Kapitalismus müssen wir Prinzipien institutioneller Erneuerung und
institutionellen Wandels erarbeiten, die uns wenigstens sagen, ob wir uns in
die richtige Richtung bewegen« (172). Der Kompass baut auf dem abstrakten
idealtypischen Vergleich dreier Organisationsformen von Macht über die
Wirtschaft auf: Kapitalismus, Etatismus und Sozialismus.
Was heißt »sozial«?
Dazu klärt Wright zunächst, was das Wort »sozial«
eigentlich bedeuten soll. Es kommt ja in »Sozialdemokratie« ebenso wie in
»Sozialismus« vor. Oft wird »sozial« dazu verwendet, ein Programm zu
charakterisieren, »das der umfassenden Wohlfahrt der Gesellschaft verpflichtet
ist und nicht den begrenzten Interessen bestimmter Eliten« (172).
In den radikaleren Versionen deutet »sozial« in Abgrenzung zum Privateigentum auf gesellschaftliches Eigentum hin. Wie wir aus der Geschichte der realsozialistischen Länder wissen, wurde Eigentum z. B. in der DDR rechtlich entweder als »persönliches Eigentum« oder als »sozialistisches Eigentum« betrachtet. Der wichtigste Zweig des letzteren war das Volkseigentum, das aus Kombinaten, Volkseigenen Betrieben und gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen bestand und staatlich geleitet wurde. Aber es gab auch das Eigentum von Kleinhandwerkern und Kleingewerbetreibenden (es wurde rechtlich als »persönliches Eigentum« angesehen) und das genossenschaftliche Eigentum (Bestandteil des sozialistischen Eigentums), wo der direkte Einfluss der Arbeitenden in den Betrieben die zentrale Rolle spielte.
Macht, Herrschaft, Eigentum
Wie aus den obigen Bemerkungen ersichtlich geht es auch bei den Eigentumsstrukturen darum, wer in welchen Bereichen das Sagen hat und worüber er/sie entscheiden kann. Die Gesellschaftstheorie hat dafür den Begriff »Macht« eingeführt, der bis heute umstritten ist. Er hängt mit den Ressourcen zusammen, die den Mächtigen zugänglich sind, aber auch damit, in welchen Strukturen die Menschen leben. Zum Beispiel braucht sich im Kapitalismus niemand, der mehrere Immobilien sein Eigen nennt, um sein Einkommen Sorgen machen, solange der Wohnungsmarkt funktioniert. Die Strukturen selbst realisieren seine/ihre Interessen, ohne dass es einer direkten individuellen Anstrengung bedarf (die Verwaltung bzw. Betreuung der Immobilien kann ja gegen Bezahlung an ein Unternehmen ausgelagert werden). Eigentum an irgendeiner Ressource kann nur unter den entsprechenden Rahmenbedingungen, die in der Gesellschaft herrschen, zu einer echten Quelle von Macht werden.
Macht muss nicht unbedingt bedeuten, dass die
Steigerung der Fähigkeit einer Gruppe oder eines Individuums, sich
durchzusetzen, notwendigerweise negative Auswirkungen auf andere hat und dass
deren Fähigkeiten, Macht auszuüben, verringert werden. Ist ein Akteur imstande,
die Handlungen anderer selbst dann zu kontrollieren, wenn sie dagegen sind,
spricht Wright von »Herrschaft«, also »Macht über …«, was etwas anderes ist als
»Macht zu …«. Wenn sich eine Gruppe vornimmt, gemeinsam eine bestimmte Aufgabe
zu erfüllen, besitzt sie die »Macht zu …«, besteht eine Gruppe aus
ArbeiterInnen in einer Fabrik, besitzt der Unternehmer »Macht über sie«.
Macht über die Produktionsmittel
Auf dieser Grundlage lassen sich verschiedene
Machtformen unterscheiden: Wirtschaftliche
Macht beruht auf der Verfügung über wirtschaftliche Ressourcen, staatliche Macht auf der Kontrolle über
das Aufstellen und die Durchsetzung von Regeln, und schließlich gesellschaftliche Macht auf der
Fähigkeit, Menschen zu mobilisieren, freiwillig gemeinschaftliche Handlungen
auszuführen. Wright verknüpft diese drei Arten mit den Methoden, die zu ihrer
Durchsetzung angewendet werden. Er benennt sie direkt: Bestechung, Zwang und Überzeugung.
Mit diesen Methoden und Begriffen im Hintergrund
können wir im Sinne von Wright darangehen, verschiedene idealtypische
Wirtschaftsstrukturen danach zu unterscheiden, welche Form das Eigentum über
die Produktionsmittel besitzt, sowie welche Art der Macht die wirtschaftliche
Tätigkeit bestimmt:
·
Im Kapitalismus
sind die Produktionsmittel Privateigentum; die Zuteilung von Ressourcen wird
ebenso durch Ausübung wirtschaftlicher Macht erreicht wie die Überwachung der
Produktion und die Festlegung der Investitionen.
·
Im Etatismus sind
die Produktionsmittel Eigentum des Staates; die Zuteilung von Ressourcen wird
durch staatliche Macht erreicht. Staatsbeamte bestimmen die Investitionen und
die Produktion durch einen staatlich-administrativen Mechanismus.
·
Im Sozialismus sind
die Produktionsmittel in gesellschaftlichem Eigentum; die Zuteilung von
Ressourcen wird durch die Ausübung gesellschaftlicher Macht bewältigt, d. h.
durch einen Prozess, der die Fähigkeit besitzt, »Menschen in der
Zivilgesellschaft für kooperative, freiwillige und kollektive Handlungen
verschiedener Art zu mobilisieren« (185). Durch diese Festlegung lässt sich die
Zivilgesellschaft als Schauplatz realer Macht ansehen, und nicht bloß als
Sphäre der Kommunikation und Gesellschaftlichkeit.
»Demokratie« lässt sich so als spezifisches Instrument
zur Unterordnung der staatlichen unter die gesellschaftliche Macht auffassen,
und der »Sozialismus« als Instrument zur Unterordnung der wirtschaftlichen
Macht unter die gesellschaftliche Macht. Damit zeichnet sich ein
Sozialismusbild ab, das stark von den traditionellen Vorstellungen des
Realsozialismus abweicht, die sich an den Etatismus anlehnten. Bezüglich der
Rolle der Märkte bzw. der Art der Wirtschaftsplanung lässt dieses
Sozialismuskonzept verschiedene Koordinierungsmöglichkeiten der Wirtschaft zu.
Dieser Sozialismus geht über das traditionelle Revolutionsmodell und die damit
verbundene zentralisierte staatliche Planung hinaus. Er umfasst theoretisch
verschiedene gangbare Wege in Richtung einer »umfassenden, auf breiter
Grundlage aufgebaute Wirtschaftsdemokratie« (189).
Der »sozialistische Kompass«
Eric Ohlin Wright meint, dass wir eine Wirtschaft umso
eher als sozialistisch bezeichnen können, »je höher der Grad gesellschaftlicher
Ermächtigung mit Bezug auf das Eigentum an wirtschaftlichen Ressourcen und
Tätigkeiten sowie deren Gebrauch und Kontrolle ist« (195). Seine Typologie
ermöglicht ihm, einen Rahmen aufzuspannen, im dem sich eine konkrete
Gesellschaft in Bezug auf verschiedene Formen und Stärken der Macht verorten
lässt. Diesen Rahmen nennt er »sozialistischen Kompass«. Für Wright ist die
gesellschaftliche Macht der Zivilgesellschaft zentral für den Weg zu einem
Sozialismus. Abb. 10 zeigt alle Verknüpfungen zwischen den drei Arten der Macht
mit der Wirtschaft (Kreis in der Mitte der Graphik). Die Wirtschaft wird
neutral aufgefasst, sofern sie nicht irgendwelchen Machteinflüssen unterworfen
wird. Durch Kombination mit den einzelnen Pfeilen der Graphik lassen sich
verschiedene Wirtschaftsformen idealtypisch unterscheiden (die jeweils anderen
Pfeile sind dabei weggedacht):
Ist Pfeil 1 wirksam, erzeugt die Wirtschaft durch
gesellschaftliche Macht angeregt Produkte zur Bedürfnisbefriedigung der
Menschen: Wright nennt sie Sozialwirtschaft.
Ist Pfeil 2 wirksam, wird die Wirtschaft staatlich
bestimmt: Wright nennt sie Staatswirtschaft.
Ist Pfeil 3 wirksam, wird die Wirtschaft
kapitalistisch bestimmt: Wright nennt sie Kapitalistische Marktwirtschaft.
Abbildung 10: Mögliche
Kombinationen von gesellschaftlicher Ermächtigung.
Neben diesen drei direkten Wirkungen auf »die
Wirtschaft« beschreiben die weiteren Pfeile indirekte Wirkungen des Einflusses
der Zivilgesellschaft auf die anderen Machtblöcke. Ein Beispiel, das in den
Sozialismustheorien eine wichtige Rolle spielte, ist der Staatssozialismus. Die
Theorie nahm an, dass eine sozialistische Partei die Menschen zur Teilnahme an
kollektiven Handlungen mobilisieren kann. Sie unterliegt selbst einer
demokratischen Kontrolle und kontrolliert den Staat (Pfeil 4), und dieser
wiederum die Wirtschaft (Pfeil 2): Dann wäre ein Staatssozialismus durchaus
legitim. Dies war das Kernstück kommunistischer Vorstellungen von
revolutionärem Sozialismus. Darüber hinaus dachte man an eine radikale
Umgestaltung staatlicher und wirtschaftlicher Institutionen mittels
partizipativer Räte (in Russland die Sowjets), wodurch Arbeitervereinigungen
unmittelbar an der Machtausübung beteiligt wären. Die Partei (gesehen als
Avantgarde) sollte als führende Kraft dieser Veränderung wirken.
Wie wir wissen, hat die Geschichte aus den
verschiedensten Ursachen einen anderen Weg genommen. Viele Möglichkeiten in
Richtung dieses Staatssozialismus wurden durch den russischen Bürgerkrieg und
die ersten Revolutionsjahre zerstört, die staatlich-bürokratischen Mechanismen
begannen zu überwiegen, und es entwickelte sich ein »Autoritärer Etatismus«.
Den Gegensatz zwischen Theorie und Praxis zeigt Abb. 11.
Abbildung 11: Revolutionärer
und autoritärer Sozialismus (nach Wright 201).
Der erwartete radikaldemokratische Staat änderte seine
Einflussnahme und Form der Planung in Richtung eines autoritären
Einparteienstaates, der die soziale Kontrolle über die Zivilgesellschaft
erlangte und so deren Macht an den Rand drängte. Die Verbrechen eines Joseph
Stalin haben dort ihren Ursprung.
Ein anderer Typ von Herrschaftsausübung ist Wright die
»sozialdemokratisch-staatliche
Wirtschaftsregulierung« (Nur die Pfeile 3, 4 und 5 kommen vor). Danach
würde die Zivilgesellschaft erhebliche Macht über den Staat besitzen (über
Pfeil 4), der die Wirtschaftsregulierung (über Pfeil 5) gemeinsam mit den
Kapitalisten vornimmt (Pfeil 3), aber sich eigenständiger Wirtschaftstätigkeit
enthält. Im historischen Verlauf führt aber diese Variante zur »kapitalistisch-staatlichen
Wirtschaftsregulierung«, bei der die Zivilgesellschaft ihren Einfluss auf
den Staat verloren hat (Pfeil 4 verschwindet). Diese Situation hat große
Ähnlichkeit mit Österreichs Wirtschaft in dem Vierteljahrhundert zwischen der
Wirtschaftskrise 1975 und der Regierung Schüssel im Jahr 2000, in dem die
Verstaatlichte Industrie stark zurückgefahren und zu einem großen Teil
privatisiert wurde.
Mit der Sozialpartnerschaft, die heute immer mehr in
Bedrängnis kommt, hat Österreich nach dem 2. Weltkrieg einen Weg beschritten,
in dem VertreterInnen der Sozialpartner jenseits der parlamentarischen
Demokratie nach Wright eine so genannte »Verbandsdemokratie«
(Pfeile 1, 2 und 3) bildeten. Allerdings ist dieses Bild meiner Meinung nach
irreführend, denn die Sozialpartnerschaft hatte keinen direkten Einfluss auf
die »Wirtschaft«, sondern bildete ein relativ eigenständiges Gremium, in dem
Vorschläge für Gesetzesänderungen ausgehandelt wurden, die dann über die
entsprechenden Kanäle der staatlichen und wirtschaftlichen Macht vollzogen
wurden.
Der »soziale
Kapitalismus« besteht im Einfluss der Zivilgesellschaft auf die
Kapitalisten (Pfeile 6 und 3), die unter diesen Umständen eine modifizierte
Wirtschaftsführung praktizieren. Die staatliche Macht bleibt außen vor und hat
keinen aktiven Einfluss auf das ökonomische System (außer durch die
kapitalfreundliche Gesetzgebung). Als emanzipatorische Utopie führt Wright die
Möglichkeit US-amerikanischer Gewerkschaften an, die über ihre Pensionsfonds
Milliardenbeträge bewegen. Diese könnten wie in Kanada in Risikokapital-Fonds
fließen, die von der Arbeiterschaft kontrolliert werden, und neue Unternehmen,
die bestimmte soziale Kriterien erfüllen, mit Startkapital versorgen. In die
gleiche Kategorie fallen Konsumentenschutzbewegungen, die auf Großkonzerne
Druck ausüben, ihre Produktionsbedingungen zu vermenschlichen bzw. fairen
Handel zu betreiben.
Eine »Kooperativ-Marktwirtschaft« (Pfeile 1, 6 und 3) könnte die Möglichkeit bieten, dass sich einzelne Kooperativen zu Kooperativ-Verbänden zusammenschließen, die leichter an Kredite herankommen. Die Kooperativen würden so unmittelbar auf die Wirtschaft Einfluss nehmen, ohne durch kapitalistische Orientierung behindert zu werden.
Die »Sozialwirtschaft« (nur Pfeil 1) ist jener Pfad der gesellschaftlichen Ermächtigung, wo Freiwillige aus der Zivilgesellschaft selbst bestimmte Aspekte der Wirtschaftstätigkeit organisieren. Ein typisches Beispiel ist Wikipedia, eine sehr erfolgreiche Form einer Enzyklopädie, frei von Formen der Profitmaximierung, außerhalb des Marktes und ohne staatliche Förderung. Aber auch durch Spenden finanzierte Altenpflege oder Kinderbetreuungssysteme gehören dazu.
Als letzte Variante beschreibt Wright den »Partizipativen Sozialismus« (Pfeile 1, 4 und 2), in dem die Bedürfnisse der Zivilgesellschaft berücksichtigt sind. Die partizipative Haushaltsplanung in Porto Alegre, aber auch in einigen spanischen Städten, hat beeindruckende Resultate hervorgebracht und wären auch für österreichische Hauptstädte zu empfehlen. In Barcelona gibt es Lerngemeinschaften, deren Verwaltung gemeinsam zwischen Eltern, Lehrern und Menschen aus der Gemeinde vorgenommen wird.
An Beispielen mangelt es nicht, eine Veränderung der Wirtschaft durch Beteiligung der Zivilgesellschaft zu erreichen. Es muss nur getan werden.
Beispiele von emanzipatorischen Strukturen
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Anmerkungen für das weitere Vorgehen
Ein Lehrbehelf über Wirtschaft soll von WK und PF
vor dem 17. 3. als Test erstellt werden.
Fehlende Teile/offene Fragen
· EU als Commons, Rechtsextremismus, Friede
· Grundeinkommen
· Sozialpartnerschaft wird von Rechts angegriffen, Industriepolitik
· KPÖ-Pluse und andere
· Eigentumsformen (WK), Arbeit und ihre Zukunft, Technik und Wirtschaft.
· Staat und Revolution (WK).
· Interessensorganisationen in Österreich: ÖGB, AK, Wirtschaftskammer, Bauernkammer;
· Wirtschaftsentwicklung in Österreich; Außenhandel, Preise, Geld fehlt noch
· Beispiele zur Umsetzung von emanzipatorischen Einrichtungen: Gemeinwirtschaftliche Betriebe, Genossenschaften, eine neue Art von „Roter Hilfe“, Grundeinkommen, partizipatorisches Budget, solidarische Ökonomie usw.
[1] Es berücksichtigt alle über den Markt gehandelten Waren und Dienstleistungen, ohne Rücksicht, ob sie nützlich oder schädlich sind. Militärausgaben werden genauso positiv gezählt wie Gesundheits- oder Bildungsausgaben. Das BIP wird kleiner, wenn jemand seine legal angemeldete Haushälterin heiratet, denn damit wird sie vom Arbeitsmarkt genommen. Unbezahlte Pflegetätigkeiten von Angehörigen kommen im BIP nicht vor. Wird in einem Stau mehr Benzin verbraucht, wächst das BIP, da sich der Umsatz an den Tankstellen erhöht.
[2] „Im Jahresdurchschnitt 2016 gab es lt. Mikrozensus 473.200 selbständig Erwerbstätige, davon 306.400 Männer und 166.800 Frauen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der selbständig Erwerbstätigen leicht. Etwa vier von zehn Selbständigen beschäftigten in ihren Unternehmen Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer, alle anderen hatten keine Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter“. (Statistik Austria online)
[3] Das ist die Summe aus Lohnabhängigen und Arbeitslosen.
[4] Steigende Preise nennen die WirtschaftsforscherInnen Inflation, fallende Deflation.
[5] Marx hat diesen Begriff für c/(c+v) verwendet. Meine
Definition ermöglicht eine einfachere Darstellung seiner Theorie, ohne dass der
Inhalt seiner Aussagen verändert wird.
[6] Suhrkamp taschenbuch
wissenschaft 2192, Berlin 2017.