Und das Wort ist Fleisch geworden ...
Anforderungen an eine humane Informationsgesellschaft
Zwischen Euphorie und Entrüstung
liegt die Bandbreite der Gefühle, mit denen die Menschen
auf die Anfänge der sogenannten Informationsgesellschaft
reagieren. So verständlich die jeweilige emotionale Reaktion
auch sein mag, so wenig Glauben in ihre Richtigkeit sollte man
ihr schenken. Eine adäquatere Beurteilung kann erst aus der
Distanz gelingen. In diesem Beitrag möchte ich mich der "Informationsmaschine
Mensch und ihrer gesellschaftlichen Einbettung weder mit
unkritisch-optimistischer Übertreibung noch in einer kulturpessimistischen
Attitude nähern, sondern Methoden aus dem Bereich der Sozial-
und Kulturwissenschaften verwenden, um zu einer Einschätzung
der gegenwärtigenTrends zu gelangen. In welcher Zeit leben
wir? Welche Haupttrends lassen sich feststellen? Welche zentralen
Problemlagen zeichnen sich ab? Welche Tendenzen sind zu erwarten?
"Wertvolle" Wissenschaft?
Es ist andererseits offensichtlich,
daß eine solche Standortbestimmung nicht objektiv sein kann,
sondern immer mit den eigenen Wünschen und Hoffnungen verquickt
ist, in meinem Fall mit dem Wunsch nach Frieden und kooperativem
Zusammenleben, nach Verhältnissen, die den Namen "menschlich
wirklich verdienen, nach Lebensbedingungen, unter denen der Mensch
dem Menschen nicht zum Wolf wird. Diese persönlichen Gefühlsäußerungen
dienen als Kompaß und Richtschnur für eine wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit der Gegenwart, die sich bestimmten methodischen
Standards verpflichtet fühlt, aber nicht aus sich heraus
eine ethische Position formulieren kann. Damit sprechen wir bereits
ein zentrales Problem unserer zeitgenössischen Wissenschaft
an, die sich wertfrei gebärdet, gerade dadurch aber für
jede mißbräuchliche Verwendung zugänglich wird.
Es sollte daher für eine humane Wissenschaft ein erster notwendiger
Schritt sein, das ihr zugrundeliegende Wertsystem ausdrücklich
auf den Tisch zu legen.
Sehen wir also mit dieser Optik
auf unsere Welt. Ein erster Blick in die reichen Ländern
der Erde macht die große Bedeutung von technischen Innovationen
deutlich. Sie sind zum zentralen Faktor der internationalen Wirtschaftskonkurrenz
aufgerückt. Nicht mehr Goldschätze, körperliche
Arbeit oder Rohstoffe bilden die Grundlage des Reichtums, sondern
die Fähigkeit, mit neuen technischen Mitteln in globalem
Maßstab auf dem Weltmarkt bestehen und dominant werden zu
können. Stellte die industrielle Revolution des vorigen Jahrhunderts
unter kapitalistischen Bedingungen einen bisher nie dagewesenen
Schub an virtuosem Umgang mit Natur und Naturstoffen dar, geeignet,
die Produktivität menschlicher Arbeit um das zehn- bis mehr
als Hundertfache zu verstärken, brachte sie gleichzeitig
mit unglaublichem Reichtum auch ungeahntes Elend über weite
Teile der Menschen, über Bauern, Handwerker und Arbeiter.
Gesellschaftlich erzeugte persönliche Zwangslagen wurden
zum fruchtbaren Boden für die Verbreitung rassistischer,
antisemitischer, menschenverachtender Ideologien, die, von Politikern
organisiert, in die großen Katastrophen dieses Jahrhunderts,
in zwei Weltkriege und Massenmord führten.
Technik als Heilsbringer
Die durch die gesellschaftliche
Ordnung verstärkte Ambivalenz technischer Innovationen zeigt
sich nicht nur in den Katastrophenszenarios des 20. Jahrhunderts,
sondern äußert sich auch in den chronischen Problemen
globaler Dimension. Sie sind nicht zuletzt Ergebnis des durchschlagenden
Erfolgs und der raschen Diffusion angewandter Naturwissenschaft
im Weltmaßstab. Der Eingriff der Menschen in die natürlichen
Kreisläufe führt über Treibhauseffekt und Ozonloch,
über bodennahes Ozon und radioaktive Verseuchung zur Gefährdung
der Voraussetzungen menschlichen Lebens auf unserem Planeten;
der durch neue Technologien vorangetriebene Ausbau des ökonomischen
Vorsprungs in der ersten Welt erzeugt soziale Ungleichheit in
der (sich in sogenannte Reformstaaten auflösenden) zweiten
und dritten Welt. Letztere schleicht sich im Gegenzug in Form
von Slums in die reichen Metropolen der Erde ein. Die Allgegenwart
der neuen Technik selbst wird durch die umfassende Abhängigkeit
von ihr zur Gefahr für die Gesellschaften, die ohne sie nicht
mehr lebensfähig sind. Dabei denke ich nicht nur an die Atombombe
oder die zivile Nukleartechnik, sondern ich meine die ganz banale
Abhängigkeit unserer Lebensfähigkeit von Stromversorgung,
Telefon, Computern und elektronischen Netzen.
Der jüngste Entwicklungsschritt
der Technik, die Entfaltung elektronischer Informations- und Kommunikationstechnologien,
findet in den Äußerungen führender Politiker und
Wirtschaftsbosse der Länder der Triade (NAFTA, EU und Japan)
seinen Niederschlag. Sie sprechen alle von der Notwendigkeit einer
globalen, kontinentweiten oder nationalen Informationsinfrastruktur,
mit deren Hilfe eine neue Gesellschaft, die Informationsgesellschaft,
errichtet werden könnte. Sie würde die notwendigen Jobs
erzeugen, die in den letzten Jahrzehnten gleichzeitig mit den
Ausläufern und fossilen Überbleibsel der Industriegesellschaft
vernichtet worden wären. Alle Schichten der Bevölkerung
könnten aus der Informationsgesellschaft ihre Vorteile ziehen.
Die radikal verringerten Informations-, Kommunikations- und Organisationskosten
machten eine hierarchiearme, demokratische Gesellschaft möglich,
in der für Ausgrenzungen kein Platz wäre. Unterschiede
der Rasse, Klasse, sozialen Schicht, Geschlecht, Behinderung-alles
würde hinter den Computerschirmen verborgen bleiben, und
die Ideale von menschlicher Gleichheit und Demokratie könnten
weltweit hervortreten.
Aus historischer Sicht bemerken
wir eine innere Verwandtschaft mit Äußerungen zu Beginn
dieses Jahrhunderts, wo die sozialistische Revolution in Rußland
auf die humanisierende Wirkung der Elektroenergie mit dem Slogan
"Kommunismus-das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des
ganzen Landes" (Lenin 1920: 513) zurückgreift. Auch
die Hoffnungen der französischen Revolution auf die Segnungen
der beginnenden Naturwissenschaft lassen sich mit der gegenwärtigen
politisch-ökonomischen Rhetorik vergleichen. Technik wird
als Löser aller gesellschaftlichen Probleme und als Hoffnungsträger
für paradieseische Zustände angesehen.
Gegenwärtige Problemfelder
So sehr meine privaten Wünsche
mit der Meinung der Europapolitiker übereinstimmen, so sehr
ist eine methodische Einschränkung angebracht: Wie auch die
obigen Beispiele andeuten, können neue Technologien nicht
per se eine humanisierende Wirkung entfalten. Sie bieten bloß
ein erweitertes Feld der Möglichkeiten für soziale oder
persönliche Entwicklung. Erst die Einbettung in die Gesellschaft
legt fest, welche spezifischen Pfade sich aus den neuen Möglichkeiten
realisieren werden. Zur Verwirklichung eines bestimmten Potentials,
das in einer neuen Technologie steckt, müssen erst verschiedene
Hürden genommen werden, allen voran die politisch-ökonomische,
dann die soziale und die kulturelle. Und hier liegt der Hase im
Pfeffer.
Im Namen der Deregulierung gibt
der Staat derzeit Stück für Stück traditionelle
Monopole und wesentliche Aktivitäten früherer Tätigkeit
an private Unternehmen ab, einerseits aus Gründen von Ineffizienz
und überhöhten Kosten, andererseits aber auch mit der
Behauptung der Unfinanzierbarkeit öffentlicher Dienstleistungen.
Diese Orientierungmacht in einer Gesellschaft durchaus Sinn, wo
der Reichtum aller Individuen stark angestiegen ist, wo Leistungen
aus dem hohen Einkommen der privaten Haushalte leicht finanziert
werden können. In einer Gesellschaft wachsender sozialer
Unterschiede und Ausgrenzungen kann Deregulierung auch zu verstärkter
Desintegration führen. Obwohl eine deregulierte Wirtschaft
für den einzelnen Betriebeinen erhöhten Handlungsspielraum
bieten und der Strategieraum gegenüber nationaler und internationaler
Konkurrenz erweitert werden kann, und-wie im Falle der Freigabe
von elektronischen Netzen und Telefondiensten-auch eine Reduktion
der Kosten für das Internet zu erwarten ist, steht der durch
Rationalisierung und Auslagerung von Arbeitsplätzen erzeugte
Abbau von Jobs im Inland in keinem ausgewogenen Verhältnis
zur Erzeugung neuer Arbeitsplätze, die(bei ansonsten gleichen
ökonomischen Bedingungen) eventuell durch Telearbeit und
innovative Produkte geschaffen werden könnten. Der soziale
Abstieg großer Teile der Bevölkerung in der sich abzeichnenden
Zweidrittelgesellschaft setzt die zentrale Voraussetzung für
eine sinnvolle Deregulierungsstrategie außer Kraft. Im Gegenteil,
ermacht ein verstärktes Engagement des Staates zur Abfederung
der sozial unzumutbaren Situation für eine wachsende Minderheit
nötig, soll die Gesellschaft nicht letztlich in einen Zerfall
getrieben werden, der durch verzweifelte individuelle Notlagen,
harte Auseinandersetzungen um finanzielle, geistige und stoffliche
Ressourcen, erhöhte Kriminalität, Rassismus, Antisemitismus
und Frauenfeindlichkeit gekennzeichnet sein wird.
Voraussetzungen für eine
humane Informationsgesellschaft
Soll die reale Konstruktion der
Informationsgesellschaft gelingen, müssen mindestens drei
Voraussetzungen erfüllt werden: Erstens bedarf es einer entsprechenden
Infrastruktur, zweitens muß diese Infrastruktur universellen
Zugang für jede Frau und jedermann erlauben, drittens muß
sichergestellt sein, daß der Erwerb einer entsprechenden
Qualifikation die Benützung der elektronischen Netze ermöglicht.
Bei der Aufzählung dieser drei Forderungen ist die Reihenfolge
wichtig: Die Erfüllung des jeweils vorher angegebenen Punktes
ist Voraussetzung für die Möglichkeit der Erfüllung
des folgenden. Fehlt nur eine dieser drei Voraussetzungen, droht
eine weitere Spaltung der Gesellschaft, die schon bisher durch
Klassen- und Schichtengegensätze zerrissen ist.
a. Ist die elektronische Infrastruktur
hinreichend?
Wie wir wissen, ist gerade in
Österreich der Datenhighway noch nicht so stark ausgebaut,
daß er eine ausreichende Kommunikationsinfrastruktur darstellen
würde. Die Klagen der derzeitigen Nutzer gehen in zwei Richtungen:
Einerseits sind die Telefongebühren noch viel zu hoch (40
Schilling pro Stunde), daß auch weniger zahlungskräftige
private Personen, vor allem Jugendliche oder ältere, ohne
übertriebene Belastungen das Internet oder andere Dienste
nützen könnten, andererseits ist die Bandbreite der
vorhandenen Strecken noch ziemlich niedrig, sodaß vor allem
Graphiken oder Videos nur in mangelhafter Qualität und nach
langem Warten übertragen werden können. Immerhin bahnt
sich bezüglich des ersten Punkts eine Entwicklung an, die
mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Reduktion der Gebühren
führen wird. Die Post senkt ab Herbst 1997 die Kosten für
Datenübertragungen auf voraussichtlich 10 Schilling pro Stunde.
Damit beantwortet sie vorauseilend künftige Konkurrenzangebote,
die durch den Wegfall des staatlichen Monopols für Telefondienste
per 1. Jänner 1998 nach EU-Recht entstehen werden.
Gleichzeitig warten schon andere
Unternehmenscluster auf ihren Markteintritt als Netzanbieter.
Die größte Kabelfernsehgesellschaft Telekabel wird
über ihr privates Netz mittels relativ billiger Zusatzgeräte
den bisherigen TV-Konsumenten um einen Bruchteil der bisherigen
Kosten eine permanente Verbindung zum Internet ermöglichen
können. Die Österreichischen Bundesbahnen und die Elektrizitätsversorgungsunternehmen
(beide verfügen über landesweite Kabelstrecken) werden
das Gebot der Stunde ebenfalls nützen und ihre Infrastruktur
auf dem Markt anbieten. Es ist also zu erwarten, daß durch
Konkurrenz und erhöhtes Angebot die Preise für Verbindungen
zu elektronischen Netzen rapide fallen werden.
Zusätzlich wird es in einigen
Jahren von internationalen Konsortien Systeme tieffliegender Erdsatelliten
geben (in Planung sind derzeit IRIDIUM mit 77 Satelliten, TELEDISC
von Bill Gates mit angeblich mehr als 800 Satelliten, INMARSAT
mit etwas höher positionierten 12 Satelliten, und schließlich
GLOBALSTAR, von der EU favorisiert, mit 48 geplanten künstlichen
Erdtrabanten), die globale Telefon- und Datenverbindungen erlauben
(Ege/Fleissner 1995: 27). Insgesamt dürfte das Netz in Zukunft
sowohl zu vernünftigen Preisen benützt werden können
als auch die nötige Bandbreite vorhanden sein. Die EU plant
im Rahmen des ACTS-Programms (Advanced Communication Technologies
andServices) die Voraussetzungen für eine extrem schnelle
elektronische Infrastruktur für die Informationsgesellschaft,
vor allem auf der Basis von Photonentechnologien in Glasfaserstrecken
(Fabianek et al. 1997: 54). Erste Feldversuche sind bereits implementiert
und sollen in Bandbreiten von 40 Gigabit pro Sekunde vorstoßen,
also rund 300 mal schneller als die derzeit in Betrieb befindlichen
Strecken der Post von 155 Megabit bzw. 34 Megabit pro Sekunde
(Fleissner etal 1996: 258-259).
Es ist als sicher anzunehmen,
daß die nötige Infrastruktur nicht mehr-wie in den
letzten hundert Jahren-vom Staat als Monopolisten angeboten werden
wird, sondern von privaten Unternehmungen, die einander konkurrenzieren.
Der Staat sollte sich aber dennoch nicht komplett zurückziehen.
Er wird für die Formulierung und Kontrolle der technischen
Standards und einer hinreichenden Qualität der Dienstleistungen
nach wie vor dringend gebraucht, außerdem muß er-wer
sonst?-faire Zugangsbedingungen und eine flächendeckende
Versorgung sicherstellen, sollen nicht weiße Flecken auf
der Netzlandkarte entstehen.
b. Universeller Zugang?
Um eine realistische Einschätzung
zu gewinnen, wie weit elektronische Netzwerke tatsächlich
genützt werden, ist ein Blick auf die empirische Struktur
der NutzerInnen hilfreich. In Österreich existieren keine
präzisen Daten. Man wird von rund 300.000 NutzerInnen ausgehen
können, wobei der überwiegende Teil durch Studierende
und Lehrpersonal an den Universitäten, der öffentlichen
Verwaltung und den Beschäftigten großer Unternehmen
im Hard- und Softwarebereich repräsentiert wird. Die privaten
Haushalte spielen bisher anteilsmäßig eine untergeordnete
Rolle. Danach wären derzeit (1997) etwa fünf Prozent
der österreichischen Bevölkerung im Netz. Die Tendenz
ist steigend, bei sinkenden Kosten und erhöhter Bandbreite
werden die privaten PC-Besitzer (angeblich hat hierzulande derzeit
rund ein Viertel der Haushalte einen Personalcomputer zur Verfügung)
zunehmend ein Modem und einen Netzanschluß erwerben.
In den USA, dem Vorreiter in Sachen
elektronischer Vernetzung, läßt sich dieser Trend zur
massenhaften privaten Nutzung bereits empirisch nachweisen. Damit
zeigt sich eine ähnliche Dynamik wie beim Telefon. War das
Telefon zuallererst auf den geschäftlichen Bereich beschränkt,
verbreitete es sich rasch als Medium für Familienkommunikation,
worüber in den amerikanischen Groß- und Kleinstädten
Klatsch und Tratsch zwischen den Mitgliedern lokaler Nachbarschaften,
vor allem zwischen Bauersfrauen, ausgetauscht wurden (Flichy 1994:
152).Damit war der Grundstein für einen massenhaften und
damit profitablen Einsatz gelegt. Diese Geschichte scheint sich
in den USA jetzt auch für das Internet zu wiederholen: Zunächst
lag-trotz deutlich zunehmender kommerzieller Server und wesentlich
weiterer Verbreitung-der Schwerpunkt der Nutzung des Internet,
zumindest was E-mail betrifft, im öffentlichen Bereich, so
eine US-amerikanische empirische Studie vonControl Data (1995).
83 Prozenz der Mitarbeiter von öffentlichen Einrichtungen
verwendeten E-mail, bei privaten Unternehmungen waren es demgegenüber
nur 62 Prozent (CONSUME 1995). Anfang 1996 konnte festgestellt
werden (siehe <http://etrg.findsvp.com/internet/demograph.html>),
daß bereits 63 Prozent das Netz zur Arbeit in ihren eigenen
vier Wänden nützen, 69 Prozent haben einen Zugang zum
Netz von daheim (dagegen nur 47 Prozent aus dem Unternehmen und
21 Prozent aus der Schule). In den USA wird von einem Boom bei
den RentnerInnen berichtet. Mit wachsender Ausdehnung der Netzanschlüsse
auf die Gesamtbevölkerung wächst das Durchschnittsalter
langsam an (Anfang 1966 36 Jahre), was auch durch den höheren
Frauenanteil von 35 Prozent bestätigt wird. Das Durchschnittseinkommen
der Internetter liegt mit 61.500 $ bei den gut Verdienenden, worauf
auch die hohe Beteiligungsrate von Personen weißer Hautfarbe
von 83% hinweist. Es ist zu erwarten, daß in Zukunft das
Durchschnittseinkommen fallen, der Frauenanteil und das Durchschnittalter
weiter steigen werden.
Unterschiedliche Resultate, die
den früheren Verhältnissen in den USA entsprechen, finden
sich in der Bundesrepublik Deutschland (fürjeweils neue Umfrageergebnisse
siehe <http://www.w3b.de>). 1996 stellten Schüler (5.8%),
Studenten (29.8%), Doktoranden (5.1%) und Beamte (3.9%) in Summe
fast 45 Prozent der Internetklientel, die Angestellten machten
36 Prozent aus. Die Selbständigen waren mit 13 Prozent vertreten.
Der Zugang erfolgte mit 45 Prozent über die Universität
bzw. die Schule, mit 38 Prozent über den Arbeitgeber. Der
private Zugang lag mit 17 Prozent noch ziemlich niedrig. Die übliche
Aussage, daß das Internet vor allem von Menschen mit hohem
Bildungsstand genützt wird, zeigt sich auch in der deutschen
Umfrage: 78.4 Prozent der Nutzer besaßen 1996 das Abitur.
Die Geschlechterrelation ist immer noch zugunsten der Männer
verzerrt, jedoch mit abnehmender Tendenz (BRD: 1995 94%, 1996
91% Männeranteil). In der BRD stieg das Durchschnittalter
erst von 29 Jahren(1995) auf 30 Jahre (1996).
Von einem universellen Zugang,
wie er beim Fernsehen und auch weitgehend beim Telefon vorliegt,
ist also beim Internet in der BRD und in Österreich noch
keine Rede.
Auch im Weltmaßstab zeigen
sich beachtliche Disparitäten. DieHauptaktivität elektronischer
Vernetzung findet sich innerhalb der großen amerikanischen
Metropolen, gefolgt von den europäischen und japanischen
Großstädten und deren Querverbindungen. Afrika und
Lateinamerika stellen beinahe weiße Flecken auf der Weltkarte
dar. McLuhans Schlagwort vom "Globalen Dorf" (McLuhan
1995) wird daher noch einige Zeit auf seine Realisierung warten
müssen (in den USA leben Anfang 1996 nur 10 Prozent der Netznutzer
auf dem Lande, die Mehrheit befindet sich in den Städten
oder in deren unmittelbarer Umgebung).
c. Höhere Bildung oder Senkung
der Anforderungen?
Selbst wenn die Kosten fallen
und die Benutzerfreundlichkeit wesentlich verbessert wird, bleibt
die Bildungsbarriere immer noch ein Selektionsfaktor, durch den
die hochqualifizierten, jungen und begüterten Menschen dieser
Erde bevorzugt werden. Für die weitere Ausdehnung der Netznutzung
zeichnen sich zwei Wege ab, die einander nicht ausschließen.
Der erste besteht in einer Senkung der qualifikatorischen Anforderungen
beim Gebrauch der Netztechnologien, der zweite umgekehrt in der
Vermittlung höherer Qualifikationen an weite Kreise der Bevölkerung.
Auf dem ersten Weg lägen etwa Strategien, die den Ausbau
von Breitbandnetzwerkenin Verbindung mit Kompressionstechnologien
anstreben, oder, als eine weitere Möglichkeit, die Entwicklung
einer Software für einfachen und sicheren Geldtransfer in
Kombination mit robusten und simplen Such- und Bestellmöglichkeiten
im Netz. Einerseits würde das Netz durch das Angebot von
Video-on-Demand oder interaktiver Virtueller Realität (die
elektronisch vermittelte Begegnung von Menschen in virtuellen
Räumen, die dreidimensionale Navigation ermöglichen,
etwa mittels einer 3D-Brille oder einem Head Mounted Display)
an das Unterhaltungsangebot des Fernsehens angeglichen, andererseits
würde es dem massenhaften elektronischen Handel geöffnet.
Der erste Weg könnte also die Nachfrage nach Netzdiensten
stark ausdehnen.
Unterhaltung und Kommerz sind
aber nicht die einzigen möglichen Faktoren zur Ausweitung
der Netznutzung. Die zweite Strategie, die von einer Erhöhung
der Qualifikation der Bevölkerung ausgeht, hätte den
zusätzlichen Vorteil, daß sie die Springquellen des
Reichtums und der Kultur zu verstärktem Fließen anregen
würde. Der Phantasie sind in dieser Hinsicht keine Grenzen
gesetzt. Ich denke dabei nicht nur an die Erhöhung der beruflichen
Qualifikation (die vor allem der Wirtschaft dient), sondern an
den guten alten Bildungsbegriff, der enge Kontakte zur Humanität
unterhielt. Gerade in einer Zeit, wo die Vereinzelung der Individuen
verstärkt als empirisches Phänomen auftritt, wo von
erhöhter Konkurrenz und von zunehmender Entsolidarisierung
die Rede ist, wären Bildungsmaßnahmen von besonderer
Bedeutung. Sie könnten mithelfen, ein Klima zu schaffen,
das sich durch Toleranz, Kooperation, durch harmonisch und friedlich
gestaltete zwischenmenschliche Beziehungen auszeichnet, in der
Neugier und Kreativität stimuliert werden. Auf dieser Basis
ließen sich die neuen elektronischen Räume, die uns
von der Technik her geöffnet wurden, der Cyberspace und die
Hypertexte, die Multi-User-Dungeons und die Internet-Relay-Chats,
das Multimediaangebot und Video-on-Demand, human gestalten und
mit menschenwürdigen Inhalten füllen, nicht zuletzt
auch zum kommerziellen Vorteil der Unternehmen und zum Vorteil
der gesamten Gesellschaft in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung,
ohne Pogrome oder Kriege.
Die Erfüllung der hier genannten
Anforderungen an Infrastruktur, Zugänglichkeit und Qualifikation
bildet ein Minimalpaket als Voraussetung für eine humane
Informationsgesellschaft. Allerdings ist Vorsicht angebracht.
Auch der beste infrastrukturelle Rahmen bietet keine Garantie
dafür, daß sich nicht negative Züge in den Vordergrund
drängen. Zentrale Überwachung, autoritäre Regierungen,
rassistische Gesetzgebung-alles ist auch im Prinzip mitden modernsten
Netzen möglich. Erst eine menschenfreundliche Gesellschaftspolitik
auf einer möglichst breiten internationalen Basis wird die
technischen Strukturen so nutzbar machen, daß sie zum Glück
der Menschen positiv beitragen.
Woher kommt die Faszination?
Bisher habe ich eine Sicht gewählt,
die vor allem das rationale Verhalten der Menschen berücksichtigt.
Reicht aber eine solche Sicht hin? Gerät einer auf logischen
Überlegungen der Menschen fußenden Annäherung
an die Welt nicht der Bereich der Emotionen, der Sehnsüchte
und Hoffnungen, aus dem Blickfeld? Ist mit diesen von des Gedankens
Blässe angekränkelten Sätzen schon alles gesagt?
Die mediale Umgebung spricht eine andere Sprache: Euphorisch greifen
die Massenmedien die ersten Schritte der Realisierung des Hyperspace
mit Wortschöpfungen wie Information-Highway, Datenautobahn,
Tele-Working,Tele-Shopping oder Tele-Banking auf. Die Faszination
der Massenmedien wie des Publikums durch dieses Thema ist meiner
Meinung nach nicht allein mit ökonomischen oder politischen
Motiven zu erklären. Ich vermute hinter der Faszination an
den elektronischen Netzen eine kulturhistorische Triebkraft, die
trotz aller modernen Wissenschaft aus dem christlich geprägten
mythischen Bewußtsein der entwickelten Welt in Verbindung
mit einem Persönlichkeitstypus, der narzistischen Persönlichkeit,
gespeist wird. Diese Triebkraft konkretisiert sich in einer Zeit,
in der sich die menschliche Gesellschaft auf diesem Planeten in
einer bestandsgefährdenden Krise befindet und daher für
Veränderung (aber auch für Polarisierungen) zugänglicher
wird als zuvor. Die Selbstfreisetzung der Menschen aus den tatsächlichen
und gedachten Abhängigkeiten erreicht eine neue Stufe. Unser
Überleben wird nicht nur durch den Erfolg der traditionellen
industriellen mechanischen, chemischen und elektrischen Technologien
gefährdet. Heute steht die Identität des Menschen in
zweierlei Hinsicht konkret zur Debatte, einerseits durch die Gentechnologie,
die an der naturwüchsigen biologischen Ausstattung der Menschen
rührt, andererseits durch neue Informationstechnologien,
die Stellung und Selbstwertgefühl der Menschen als einzige
lebende Wesen mit Intelligenz und Denken zu hinterfragen beginnen.
Angesichts dieser Probleme werden
Wünsche, die bisher keine Realisierungschance hatten, mit
allen Illusionen, die damit auch hochkommen, an die Oberfläche
der Gesellschaft gespült und in der Praxis wirksam. Ein Prozeß
der Umsetzung religiöser Phantasie in den menschlichen Alltag
setzt sich fort, der mit der Erscheinung des Marktes und des Geldes
seinen Ausgang nahm. Das jüngste Gericht wird zur Gegenwart
im Markt, die Guten werden belohnt, die Bösen bestraft. Im
Geld steigt die göttliche Macht, die laut Feuerbach (Erstausgabe
1841, zitiert aus 1957: 371) das menschliche Wesen, laut Marx
und Engels (1845, zitiert aus 1971: 27) das gesellschaftliche
Wesen der Menschen in phantastischer Weise zum Ausdruck bringt,
auf die Erde herab und wohnt unter uns. Jeder kann daher ein Stückchen
Göttlichkeit, sprich, das Potential menschlicher Tätigkeit,
über Arbeit aktualisierbar, in der Geldbörse mit sich
herumtragen. Der Cyberspace und die elektronischen Netze bedienen
weitere Vorstellungen von den Eigenschaften Gottes: Die der Allwissenheit
und der Allgegenwart. Damit geht-in aller zu berücksichtigenden
Ambivalenz-das Wort der Schlange aus dem Ersten Buch Moses in
Erfüllung, die den Menschen im Paradies verheißen hat:
"Ihr werdet sein wie Gott!" (1. Mose 3.5). Leider sind
noch immer nicht alle Eigenschaften Gottes auf die Erde herabgefallen.
Immer noch fehlen Weisheit, Barmherzigkeit und Liebe.
Literatur
Die Bibel:
Die Heilige Schrift nach der deutschen Übersetzung D. Martin
Luthers, United Bible Societies, London und Edinbourgh 1949
CONSUME: Newsletter 3/1995, vol.
107, Wien, Juli 1995
Ege, B., und P. Fleissner: Gehört
die Zukunft den Satelliten. In: Hernsteiner, Fachzeitschrift
für Management, Nr. 4, 1995: 26-27
Fabianek, B., K. Fitchew, St.
Myken, A. Houghton: Optical Network Research and Development
in European Community Programs: From RACE to ACTS. In: IEEE
Communications Magazine, April 1997: 50-56
Feuerbach, L.: Das Wesen des
Christentums, Reclam, Leipzig 1957
Fleissner, P., W. Hofkirchner,
H. Müller, M. Pohl, Ch. Stary: Der Mensch lebt nicht vom
Bit allein, Peter Lang, Frankfurt am Main etc. 1996
Flichy, P.: Tele-Geschichte
der modernen Telekommunikation, Campus Verlag, Frankfurt/NewYork,
Éditions de la Fondation Maison des Sciences de l´Homme,
Paris 1996
Lenin, W. I., Bericht über
die Tätigkeit des Rats der Volkskommissare, 22. Dezember
1920, in: Lenin, W. I., Werke, Band 31, Dietz Verlag, Berlin
1962: 483-515
McLuhan, M., B. R. Powers: The
Global Village-Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert,
Junfermann 1995, Originalausgabe 1989 von Oxford University Press
Marx, K., Engels, F.: Ausgewählte Werke, Progress Verlag, Moskau 1971