Max Webers Bürokratietheorie im Lichte elektronischer Kommunikationsmedien


Date: 16-05-1995
URL: http://igw.tuwien.ac.at/igw/Personen/
fleissner/papers/Max_Weber/Max_Weber.html


 

Max Webers Bürokratietheorie
im Lichte elektronischer Kommunikationsmedien

Zusammenfassung

  1. Max Webers Bürokratiebegriff
  2. Technologie und Organisation
  3. Charakteristika traditioneller Bürokratien
  4. Die Senkung der Transaktionskosten
  5. Perspektiven für die öffentliche Verwaltung

Literatur

Zusammenfassung

Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologien machen es notwendig, die überkommene Theorien und traditionelle Praxis von Verwaltung immer wieder auf ihre Zeitgemäßheit zu prüfen, und zu fragen, ob die Möglichkeiten, die in den neuen Technologien stecken, die alten Konzepte teilweise obsolet machen. Der folgende Beitrag unterzieht Max Webers Bürokratietheorie einer solchen Prüfung und versucht, darauf aufbauend, mögliche Perspektiven für die öffentliche Verwaltung der Zukunft zu gewinnen.

1 Max Webers Bürokratiebegriff

In seinem berühmt gewordenen Werk "Wirtschaft und Gesellschaft" entwickelte Max Weber seine drei Typen "legitimer" Herrschaft. Legitimität wird in reiner Form entweder auf "rationale", "traditionale" oder "charismatische" Weise hergestellt. Als "Grundkategorien der rationalen Herrschaft" (und vor allem auf diese wollen wir uns hier beziehen) führt Weber den kontinuierlichen regelgebundenen Betrieb von Amtsgeschäften innerhalb einer Kompetenz (Zuständigkeit) an, "welche bedeutet:

a) einen kraft Leistungsverteilung sachlich abgegrenzten Bereich von Leistungspflichten, -

b) mit Zuordnung der etwa dafür erforderlichen Befehlsgewalten und

c) mit fester Abgrenzung der eventuell zulässigen Zwangsmittel und der Voraussetzung ihrer Anwendung.

Ein derart geordneter Betrieb soll "Behörde" heißen" (Weber 1990: 125).

Für Behörden gelten u.a. die Prinzipen der "Amtshierarchie" und der "Aktenmäßigkeit der Verwaltung". Amtshierarchie bedeutet dabei "die Ordnung fester Kontroll- und Aufsichtsbehörden für jede Behörde mit Berufungs- und Beschwerderecht." Die Regeln, nach denen verfahren wird, können technische Regeln oder Normen sein (für deren Anwendung Schulung erforderlich ist). Das Prinzip der Aktenmäßigkeit der Verwaltung gilt "auch da, wo mündliche Erörterung tatsächliche Regel oder geradezu Vorschrift ist: mindestens die Vorerörterungen und Anträge und die abschließenden Entscheidungen, Verfügungen und Anordnungen sind schriftlich fixiert. ... Akten und kontinuierlicher Betrieb durch Beamte zusammen ergeben: Das Bureau[1], als den Kernpunkt jedes modernen Verbandshandelns" (Weber 1990: 126).

Die Aktenmäßigkeit der Verwaltung wird durch eine spezifische Form der Informationsverarbeitung erleichtert, auf die J. Beniger (1986) hinweist, nämlich durch das standardisierte Formular, das vor allem im Umgang nach außen, mit der Klientel der Bürokratie, und auch im Binnenverhältnis eingesetzt wird.

Im Mittelpunkt des "bureaukratischen Verwaltungsstabes" stehen "Berufsbeamte" als Akteure, "welche

1. persönlich frei nur sachlichen Amtspflichten gehorchend,

2. in fester Amtshierarchie,

3. mit festen Amtskompetenzen,

4. kraft Kontrakts, also (prinzipiell) auf Grund freier Auslese nach

5. Fachqualifikation ... angestellt (nicht: gewählt) sind,

6. entgolten sind mit festen Gehältern in Geld, meist mit

Pensionsberechtigung ...,

7. ihr Amt als einzigen oder Haupt-Beruf behandeln,

8. eine Laufbahn: "Aufrücken" ... vor sich sehen,

9. in völliger "Trennung von den Verwaltungsmitteln"

und ohne Appropriation der Amtsstelle arbeiten,

10. einer strengen einheitlichen Amtsdisziplin und Kontrolle

unterliegen." (Weber 1990: 126-127).

Eine Berufsbeamtenhierarchie wird im modernen Staatswesen von einem politischen (ernannten oder gewählten) Amtsträger (Minister, Bundespräsident) angeführt, der anderen Herrschaftstypen als dem rationalen entstammt, vor allem dem plebiszitär-charismatischen (gewählter Präsident) oder dem erb-charismatischen (Erbmonarchie) Typ. Er/sie zeichnet für den Inhalt der Tätigkeit der Behörde verantwortlich und legt ihn letztlich fest. Zwischen dem Politiker und der Beamtenhierarchie kann es aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktionen zu Widersprüchen und zu Machtkämpfen kommen.

Weber beschränkt Bürokratie nicht auf die öffentliche Verwaltung. Er sieht "Bureaukratien" in der Kirche, im Heer, in den Parteien, im Wirtschaftsbetrieb, im Interessensverband, in Vereinen und Stiftungen. Ja, er faßt bürokratische Verwaltung sogar - und nicht zu unrecht - als die "Keimzelle des modernen okzidentalen Staates" auf.

Schrittmacher der Bürokratisierung sind seiner Auffassung nach die damaligen "Neuen Technologien": " ... öffentliche Land- und Wasserwege, Eisenbahnen, Telegraphen" und "Telephon." (Weber 1990: 561; 129).

Weber pries die Bürokratie in Superlativen: "Die rein bureaukratische, also die bureaukratisch-monokratische aktenmäßige Verwaltung ist nach allen Erfahrungen die an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verläßlichkeit, also: Berechenbarkeit für den Herrn wie für die Interessenten, Intensität und Leistung, formal universeller Anwendbarkeit auf alle Aufgaben, rein technisch zum Höchstmaß der Leistung vervollkommenbare, in all diesen Bedeutungen: formal rationalste, Form der Herrschaftsausübung." (Weber 1990: 128).

Daneben deutet sich auch leise Kritik an: Die durch die beschriebenen Organisationstechniken erreichte "Überlegenheit des berufsmäßig Wissenden sucht jede Bürokratie noch durch das Mittel der Geheimhaltung ihrer Kenntnisse und Absichten zu steigern ... Die Bürokratie verbirgt ihr Wissen und Tun vor der Kritik, soweit sie es irgend kann ... Der Begriff des 'Amtsgeheimnisses' ist ihre spezifische Erfindung." (Weber 1990: 572; 573)

Wie wir heute wissen, ist diese Darstellung der Bürokratie im Sinne von Webers Idealtypen eine Darstellung in reiner Form. Tatsächliche Verwaltungen funktionieren nicht nach dieser reinen Lehre, sondern sind durch Rückgriffe auf feudale Elemente (im Volksmund: "Betriebskaiser"), durch persönliche Beziehungen, durch informelle und eben nicht explizit gemachte Verhaltensregeln charakterisiert, die sich stillschweigend herausbilden und zu einer umfassenden Organisationskultur verdichten können.

Die eher positive Sicht der Bürokratie durch Weber ist in den letzten Jahrzehnten in der Öffentlichkeit durch harte Kritik, insbesondere an der öffentlichen Verwaltung, abgelöst worden. Dabei wurden zwei Argumentationsstränge benutzt. Der erste warf insbesondere den Staatsverwaltungswirtschaften Unfähigkeit und Unmenschlichkeit vor, der zweite, auf die westlichen Länder bezogen, verortet die Bürokratie als parasitär. Sie würde eine Belastung für den öffentlichen Haushalt darstellen, nicht den Bedürfnissen der Bürger entsprechen, wäre schwerfällig und ineffizient. Das Wort "Bürokrat" wurde zum Schimpfwort. Im Zuge dieser Kritik entstand für alle Bürokratien ein Modernisierungs- und Rationalisierungsdruck, dem durch alternative Organisationskonzepte und den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien entsprochen werden soll.

Bevor man in den Chor der Bürokratiekritiker einstimmt, sollte mit Max Weber aufmerksam gemacht werden, daß der Bürokratisierungstrend nicht das Ergebnis einer zufälligen Fehlentwicklung ist, sondern das Spiegelbild längerfristiger gesellschaftlicher Desintegrationsprozesse. Die über die Blutsverwandtschaft hinausreichende bäuerliche Großfamilie voriger Jahrhunderte wurde mit der vollzogenen Industrialisierung und der Mechanisierung der Landwirtschaft durch die städtische Kernfamilie abgelöst, heute dominieren zunehmend die Singlehaushalte. Der Bedürftigkeit der nunmehr in Kleingruppen oder alleine lebenden Individuen muß durch gesellschaftliche Einrichtungen entsprochen werden, soll nicht die Funktionstüchtigkeit der Gesellschaft als ganzer aufs Spiel gesetzt werden. Dazu wurden immer neue Funktionssysteme geschaffen, die sich aus dem gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang evolutionär herausgelöst (nach Niklas Luhmann "herausdifferenziert") und auf einzelne Aufgaben spezialisiert haben (Luhmann 1988; 1989). Als Beispiele für derartige Funktionssysteme können private Unternehmungen ebenso herangezogen werden wie soziale, religiöse oder politische Einrichtungen. Diesen Systemen ist gemeinsam, daß sie ihrer jeweiligen Funktion nicht ausschließlich in direktem und unmittelbarem Kontakt mit den Individuen gerecht werden können, sondern vermittelte und formalisierte, eben bürokratische Verfahren anwenden müssen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Kritik sollte daher weniger an dem Phänomen Bürokratie selbst ansetzen, sondern an der Art und Weise ihrer Realisierung und Ausgestaltung.

2 Technologie und Organisation

Wie in der materiellen Produktion wird auch in der Bürokratie menschliche Arbeit durch Technik unterstützt, um die Produktion effizienter zu machen und die Produkte bzw. Leistungen qualitativ zu verbessern. Wie in der materiellen Produktion waren es auch in der Bürokratie nach den handwerklichen Formen (die Führung handschriftlicher Aufzeichnungen) zunächst die mechanischen Technologien, die zum Einsatz kamen (mechanische Schreib- und Rechenmaschinen), die wiederum durch elektrische Geräte (Telefon) und heute durch elektronische Technologien ergänzt und ersetzt werden. In Anlehnung an Ernst Cassirer (1994: 3ff.), der in seiner Philosophie der symbolischen Formen für die Sprache zeigt, daß sie zunächst nur das Gehörte nachahmt (Mimesis), auf der zweiten Stufe (Analogie) Gegenstände sprachlich verdoppelt, und erst auf der dritten Stufe, der "Darstellung", zu neuen Formen findet, die über die menschliche Befindlichkeit Auskunft geben, möchte ich die Anwendung des Computers in der Verwaltung in ihrem Zusammenhang mit der Organisationsform beschreiben. Allgemeine Voraussetzung für den Einsatz stellt dabei eine günstige Kosten-Nutzen-Relation der neuen Technologie gegenüber traditionellen Formen dar.

Zunächst werden in einer vorhandenen Organisation bloß isolierte Teilfunktionen der Verwaltungstätigkeit durch Substitution mittels neuer Technologie bewältigt, wobei die Organisation unverändert bleibt. Dazu zählt die Einführung des Taschenrechners ebenso wie die Einführung des PCs in den 80er Jahren, der die Erstellung von Texten, Grafiken, und das Rechnen in Spreadsheets erleichterte. Es werden also im Sinne Cassirers Tätigkeiten punktuell auf eine effizientere Art als vorher durchgeführt.

Eine qualitativ neue Stufe ist durch die Einführung von zentralen Datenbanken (erst traditionelle, dann relationale), Buchhaltungs- und Managementinformationssystemen in Rechenzentren gegeben. Dabei wird ein nach bestimmten Kriterien gestaltetes virtuelles Abbild der Außenwelt (teilweise auch der Bürokratie selbst) hergestellt, an dem Manipulationen vorgenommen werden können, die in der Außenwelt Entsprechungen in Form von Interaktionen mit der Klientel besitzen, z.B. durch den Erlaß von Bescheiden oder Geldanweisungen. Auf dieser Stufe können schon Rückwirkungen auf die Organisation auftreten. Sie wird nach dem Vorbild des Computers als informationsverarbeitendes System aufgefaßt und nach diesem Muster umgestaltet und optimiert. Die auf der traditionellen Bürokratie fußende hierarchische Baumstruktur kann durch elektronische Vernetzung problemlos nachgebildet werden. Manche Sicherheitsmodelle lehnen sich an die hierarchischen Strukturen der klassischen Bürokratie an oder erlauben es, den Zugriff in Übereinstimmung mit ihr qualifiziert zu regeln, man denke etwa an die Konzepte der Berechtigungsmatrix, der Zugriffsmatrix, diskrete und globale Kontrolle, das Bell-La Padula Modell usw. Die bloße technische Nachbildung der alten Organisation hat sich aber nicht überall bewährt. Teilweise lassen sich die in den USA beklagten Mängel der Ineffizienz des EDV-Einsatzes dadurch erklären.

Bevor auf die dritte Stufe der Entwicklung und die neuen Möglichkeiten, die Organisation umzustellen, eingegangen wird, sollen die traditionellen Bürokratien genauer beschrieben werden.

3 Charakteristika traditioneller Bürokratien

Mit welchen Maßstäben lassen sich Bürokratien beschreiben? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen in der folgenden Tabelle einige Indikatoren angeführt werden, die sich zum Teil auf das Individuum, zum Teil auf die gesamte Organisation, zum Teil auf beide anwenden lassen:

* Ermessensspielraum (nicht regulierte Entscheidungsmöglichkeiten)

* Partizipationsgrad (Einflußmöglichkeit auf Organisations-, Zeitstruktur, Arbeitsinhalte)

* Qualifikation (formelle und informelle)

* Hierarchietiefe (Zahl der Ebenen)

* Subordinationszahl (Zahl der direkt Nachgeordneten)

* Vernetzungsgrad (wer ist mit wem verbunden?)

* Interaktivitätsgrad (wer nützt die Verbindung mit wem?)

* Geschwindigkeit des Informationsdurchsatzes (ev. anhand von Benchmarks)

* Durchlässigkeit (wie leicht fließen Informationen durch die Struktur)

* Offenheit (wie stark ist die Verbindung nach außen?)

* Reflexivität (Analysefähigkeit der eigenen Situation)

* Umgestaltbarkeit (Veränderbarkeit der Organisation)

* Koordinationsaufwand (Arbeitszeit zur Koordination der Organisationsstruktur)

* Kosten-Nutzen-Relation und Effizienz.

Gemessen an den obigen Indikatoren besitzen traditionelle Bürokratien die folgenden Eigenschaften: Sie sind durch einen geringen Ermessensspielraum und einen niedrigeren Partizipationsgrad gekennzeichnet. Sie besitzen eine große Hierarchietiefe (gemessen an den Amtstiteln, welche die Stellung des Individuums in der Hierarchie anzeigen), eine relativ hohe Subordinationszahl, einen niedrigen Vernetzungs- und Interaktivitätsgrad (außer zwischen aufeinanderfolgenden Hierarchieebenen), einen umständlichen Aktenlauf mit häufigen Rückversicherungen von ranghöheren Stellen. Wenn von oben angeordnet, besitzt die traditionelle Bürokratie relativ hohe Durchlässigkeit. Die weitgehende Geschlossenheit der Struktur wird durch das Amtsgeheimnis verstärkt. Da der Gesamtzusammenhang oft nicht transparent ist, besitzt die Bürokratie nur geringe Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Situation, daher kann sie sich von innen her nur schwer umgestalten und reformieren. Der Koordinationsaufwand ist relativ gering, da feste Regeln gelten, nach denen gehandelt werden muß. Es besteht eine Tendenz zur Ausweitung der Mitgliederzahl aufgrund der Versuche von Vorgesetzten, mehr Nachgeordnete zu gewinnen.

4 Die Senkung der Transaktionskosten

Es gibt heute Anzeichen, daß der EDV-Einsatz seine Wirkung sowohl auf die Effizienz als auch auf die Organisationsstruktur zu entfalten beginnt. Jeremy Rifkin (1995: 55) schreibt: "It's not just low-level jobs that are disappearing. A growing number of companies are deconstructing their organizational hierarchies and eliminating more and more middle management. They use computers to do the coordinating that people - often working in separate departments and locations within the company - used to do. Harvard business professor Gary Lovemann points out that while better jobs are being created for a fortunate few at the top levels of management, the men and women in 'garden-variety middle-management jobs' are 'getting crucified' by corporate re-engineering and the introduction of sophisticated new information and communication technologies. Eastman Kodak, for example, has reduced its management levels from thirteen to four."

Der Abbau von niedrig-qualifizierten Arbeitsplätzen, die Reduktion des mittleren Managements und die Schaffung von Telearbeitsplätzen sind nur ein kleiner Ausschnitt aus dem breiten Spektrum der Möglichkeiten, die sich durch die elektronischen Vernetzungstechnologien auftun. Der gemeinsame Nenner ist die qualitative und quantitative Veränderung der Kosten von Information, Kommunikation und Organisation bei der Bereitstellung bestimmter Güter oder Dienstleistungen. Nach dem Transaktionskostenansatz, der bis in die 60er Jahre zurückreicht und im Bereich der Organisationsökonomie als Kritik an der Neoklassischen Wirtschaftstheorie mit ihren Annahmen der vollständigen Konkurrenz und der vollständigen Information entwickelt wurde (siehe etwa Coase 1960; Alchian und Demsetz 1972; Williamson 1985; North 1990), ist nicht nur der Preis einer Ware oder eines Dienstes für das Zustandekommen einer Transaktion relevant. Reale Wirtschaftssubjekte haben Kosten der Informationsbeschaffung zu tragen, die Erstellung und der Abschluß eines etwaigen Vertrages und Verhandlungsprozesse erfordern Zeit und Geld, sodaß den Transaktionskosten für das Zustandekommen des Angebots einer Leistung eine zentrale Bedeutung zukommt. Die Transaktionskosten müssen dabei nicht in Form von Geld oder Arbeitszeit anfallen, sie können sich auch in einem Qualitätsunterschied der entsprechenden Leistung ausdrücken, die dann eine genauso große Bedeutung besitzen wie der Preis, zu dem gekauft oder verkauft wird.

Bürokratien können als Dienstleistungen angesehen werden, in denen zweifellos Information, Kommunikation und Organisation eine wichtige Rolle spielen. Durch Veränderung der mit diesen Tätigkeiten verbundenen Transaktionskosten können sich Rückwirkungen auf die Art der Erstellung der Dienstleistung selbst ergeben.

Mittels elektronischer Vernetzung lassen sich

* Kommunikationsaktivitäten, die das Vorbereiten, Senden, Empfangen und Interpretieren von Nachrichten zwischen zwei oder mehreren Parteien beinhalten,

* Koordinationsaktivitäten, die bei

Konsensfindung (Gestaltung, Diskussion, Revision und Erzielung von Zusammenarbeit),

Planung (Herstellung von Übereinkünften bezüglich Zeit und Ort gemeinsamer

Tätigkeiten und Nutzung von Ressourcen) und

Entscheidung (Schaffung von Verhaltensregeln, Verteilung von Vorschlägen,

Aggregation von Präferenzen)

anfallen,

* Informationsaktivitäten, die u. a.

Suchen (Feststellung von Bedürfnissen, Bewertung und Lokalisierung von Ressourcen),

Verarbeiten (Filtern, Speichern und Verändern von Informationen) und

Interpretation (Verifikation, Analyse und Management von Informationen)

umfassen,

leichter, schneller, billiger und mit besserer Qualität ausführen als ohne sie (Bonchek 1995).

Die Tatsache, daß e-mail wesentlich billiger als alle anderen vergleichbaren Medien (Telefon, Telegraf, snail-mail und FAX), ist zwar vom ökonomischen Standpunkt ein Vorteil, vom Transaktionskostenansatz her gesehen aber nicht der wichtigste. Im Bereich der Transaktionskosten zählen vor allem die neuen Qualitäten bei der Beschaffung und dem Austausch von Informationen und die Möglichkeiten, einfach und schnell organisatorische Arbeiten abzuwickeln. Im folgenden sollen einige Beispiele gegeben werden. Die üblicherweise schlechte Erreichbarkeit von Telefonpartnern wird durch die Asynchronizität der elektronischen Post überwunden, die Sende- und Verarbeitungszeitpunkte können selbst bestimmt werden, die mögliche Synchronizität der elektronischen Vernetzung erlaubt die Schaltung von Videokonferenzen und damit die Reduktion von Transportkosten. Die bei herkömmlicher Post umständliche Herstellung und Verteilung von Massenaussendungen wird über Computernetze wesentlich vereinfacht (many-to-many communication, skywriting). Die Geräte können "intelligent" Informationen suchen (Knowbots), filtern, vervielfältigen, analysieren, auswerten, speichern usw. Bisherige Routinetätigkeiten können automatisiert werden (Makros). Im Wissenschaftsbereich ist die neue Qualität bei der Informationsbeschaffung mit allen Möglichkeiten der direkten Weiterverarbeitung bereits deutlich sichtbar.

Natürlich gibt es auch im Reich der elektronischen Medien keinen "free lunch". Den oben genannten Vorteilen stehen Kosten gegenüber, die in der Praxis gegeneinander abgewogen werden müssen, nämlich

* die Kosten des Netzwerkzugangs und

* die Kosten der computer-literacy.

Diese Kosten können ein Argument gegen die Anwendung von Computernetzwerken darstellen. Es ist aber nicht das einzige, vielleicht nicht einmal das wichtigste. In der öffentlichen Verwaltung werden auch die Folgen der möglichen Rationalisierung zu bedenken sein, die wegen der Umschichtung des Staatshaushaltes von der Verwaltung in die Arbeitslosen-, Pensions- und Krankenversicherung nur zu geringen finanziellen Einsparungen führen wird - bei gleichzeitiger Erhöhung der Unzufriedenheit der arbeitslos gewordenen Menschen und der sich daraus ergebenden politischen Kosten.

5 Perspektiven für die öffentliche Verwaltung

Die oben angeführten Veränderungen der Transaktionskosten weisen auf ein erweitertes Möglichkeitsfeld für den Einsatz und die Gestaltung elektronischer Vernetzung hin. Die Entstehung von Möglichkeiten bedeutet aber noch nicht deren automatische Realisierung. Vor einem technologischen Determinismus muß ebenso gewarnt werden wie vor der Annahme, die Technologie wäre neutral. Die Kostensenkung bei Information, Kommunikation und Organisation deutet darauf hin, daß gegenüber der bisherigen starren Hierarchie selbstorganisierte, netzförmige Strukturen an Realisierungschance gewinnen. Durch die Erleichterung des Informationsaustausches zeichnen sich Ansätze in Richtung erhöhter Transparenz der Verwaltungen ab, wie wir etwa an dem Projekt der Digitalen Staad Amsterdam oder an der Errichtung von BürgerBüros (Klee-Kruse/Lenk 1995) ablesen können. Mit elektronischer Post könnten leichter themenzentrierte Diskussionen innerhalb bestimmter Gruppen der Bürokratie geführt werden, die noch dazu auch Außenstehenden einfach und zu geringen Kosten zugänglich gemacht werden können. Nichtsdestoweniger werden ohne zusätzliche, öffentlich bereitgestellte elektronische Tore in das Verwaltungsnetz nur diejenigen profitieren, die bisher schon zu den Privilegierten zählten: Die Minderheit der männlichen Weißen mit hoher Schulbildung und hohem Einkommen, die das Netz - jedenfalls nach den heutigen Statistiken - dominieren (Margolis 1994).

Der Aktenlauf kann durch entsprechende Workflow-Management Programme von der etwaigen Willkür informeller Machtpositionen in der Bürokratie entlastet werden. Die Hierarchietiefe, wie schon im Beispiel von Kodak erwähnt, könnte stark verringert werden, wodurch sich eine größere Nähe zu den Bürgern ergeben sollte.

Die Auslagerung von Arbeitsplätzen könnte das Postulat von Max Weber aufweichen, daß die Produktionsmittel sich nicht im Besitz der Beamten befinden. Die laufende Verbilligung der Computer- und Netztechnologien könnte dazu führen, daß der private PC zuhause auch für Tele-Büroarbeit und die Abwicklung von elektronischen Amtswegen genutzt wird.

Der bisher starre Aktenlauf könnte flexibilisiert, der Grad an sachgerechten Ermessensentscheidungen könnte ausgeweitet, bisher durch feste Regeln beschriebene Entscheidungen könnten automatisiert und damit in den Bereich der Selbstbedienung verlagert werden. Die bisherigen Arbeitsbeziehungen könnten umgestaltet, die Offenheit nach außen wesentlich erweitert, die Mitwirkungsmöglichkeiten durch die Bürger an der Gestaltung der Bürokratie verbessert werden, wodurch ein Zugewinn an Motivation erreicht würde, der leistungs- und qualitätssteigernd wirkt.

Meiner Meinung nach wird elektronische Vernetzung aber weder Bürokratien noch Hierarchie-Strukturen vollständig auflösen (siehe dazu auch Ronfeldt 1992). Die Verwaltungserfordernisse bleiben auf der Tagesordnung, ja sie werden sich noch verstärken, genauso wie die Delegation von Aufgaben immer wieder zu relativer Über- bzw. Unterordnung führen wird. Die Zusammenarbeit von Menschen aus verschiedenen hierarchischen Ebenen bzw. innerhalb und außerhalb der Bürokratie ließe sich dennoch verstärken, die vorhandenen starren Normen könnten unter stärkerer Partizipation aller Mitglieder der Bürokratie und der Klientel verflüssigt werden.

Allerdings bleiben alle diese demokratischen Möglichkeiten in einem hohen Ausmaß ambivalent. Wohl dürfte die Aufrechterhaltung streng hierarchischer Befehlsstrukturen mit großer Hierarchietiefe scheint aufgrund des Individualisierungstrends, der Auflösung traditioneller Werte, die zur Integration und Subordination in einen sozialen Verband beigetragen haben, und der steigenden Qualifikation der Menschen problematischer werden. Die Inhalte der Bürokratie bleiben aber immer noch offen: Die elektronische Vernetzung kann einer an Frieden und Freiheit orientierten Parteibürokratie genauso gute Dienste leisten wie einer Neonazi-Gruppe oder der Mafia. Damit gewinnt das Wort von Max Weber gerade durch die elektronische Vernetzung wieder an Wahrheitsgehalt: "Die Bürokratie ist die ... formal rationalste, Form der Herrschaftsausübung", deren politische Orientierung nicht aus sich selbst gewonnen werden kann.


Literatur

Alchian, A. and H. Demsetz, Production, Information Costs, and Economic Organization, in: American Economic Review 621972: 777-795.

Bonchek, M. S., Grassroots in Cyberspace: Using Computer Networks to Facilitate Political Participation, Working Paper 95-2.2: Presented at the 53rd Annual Meeting of the Midwest Political Science Association in Chicago, IL, on April 6, 1995 (World Wide Web: http://www.ai.mit.edu/projects/ppp/pubs/95-2-2.html).

Beniger, J., The Control Revolution: Technological and Economic Origins of the Information Society, Harvard University Press, Cambridge, Mass. 1986.

Cassirer, E., Philosophie der symbolischen Formen, Erster Teil, Die Sprache, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994.

Coase, R. H., The Problem of Social Cost, in: Journal of Law and Economics 3 1960: 1-44.

Klee-Kruse, G. und K. Lenk, BürgerBüros als innovative kommunale Serviceagenturen, R. v. Decker's Verlag, G. Schenk GmbH, Heidelberg 1995.

Luhmann, N., Soziale Systeme - Grundriß einer allgemeinen Theorie, Suhrkamp STW, Frankfurt/Main 1988.

Luhmann, N., Die Wirtschaft der Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt/Main 1989.

Margolis, M. J., A New Way of Talking Politics: Democracy on the Internet, 1994 (E-mail address: MJMARGOL@UCBEH.SAN.UC.EDU).

North, D. C., Institutions and a Transaction Cost Theory of Exchange, in: J. Alt and K. Shepsle, eds., Perspectives on Positive Political Economy, Cambridge University Press, Cambridge 1990: 182-194.

Postman, N., Das Technopol. Die Macht der Technologien und die Entmündigung der Gesellschaft, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1992.

Rifkin, J., Work - A blueprint for social harmony in a world without jobs, in: Utne-Reader, May-June 1995: 53-63.

Ronfeldt, D., Cyberocracy is Coming, Taylor and Francis 1992 ISSN 0197-2243 (WELL Gopher Server: gopher.well.sf.ca.us)

Weber, M., Wirtschaft und Gesellschaft, J. B. Mohr, Tübingen 1972, 5. Auflage, Nachdruck 1990.

Williamson, O. E., The Economic Institutions of Capitalism - Firms, Markets, Rational Contracting, Macmillan, New York and London 1987.


Peter Fleissner
Departement for Design and Assessment of Technology/Social Cybernetic
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