Date: 21-04-1995
URL: http://igw.tuwien.ac.at/igw/Personen/
fleissner/papers/hyperspace/hyperspace.html

Im Hyperspace - Geschichten aus der Neuen Welt

    1. Einleitung
    2. Der Begriff Hyperraum
    3. Eigenschaften und Potentiale
    4. Veränderungen der Raum- und Zeitstruktur bei den NutzerInnen
    5. MUDs
    6. Interpretation I: Der MUD als technisch realisierter Mythos
    7. Interpretation II: "Ihr werdet sein wie Gott!"
    8. Literatur

1. Einleitung

Die stürmische Entwicklung von Computer-, Informations- und Kommunikationstechnologien auf digitaler Grundlage ermöglicht die elektronische Verbindung von Millionen Menschen. Durch diese neuen, technischen Kommunikationskanäle können traditionelle Formen menschlicher Interaktion ergänzt, und teilweise ersetzt werden. Die bisherigen Konzepte von Distanz oder Nähe, von raum-zeitlicher Nachbarschaft und Separiertheit, werden durch eine neue Topologie und Chronologie überlagert. Die in Entstehung befindliche neue Ordnung von Raum und Zeit verändert die menschlichen Beziehungen, die Arbeit und die Wissenschaft in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Ich möchte diesen virtuellen, aber gleichzeitig sehr realen Raum mit dem Begriff Hyperspace belegen (der von der neuen Wissensrepräsentationsform Hypertext abgeleitet ist) und aus dem Blickwinkel der Benützer seine Eigenschaften nachzeichnen, die Beschränkungen und Veränderungspotentiale herausarbeiten, soweit sie für mich überhaupt schon sichtbar oder zumindest erahnbar sind. Weiters möchte ich eine methodische Fingerübung versuchen und die Methoden der Mythenforschung auf ein jüngstes Kind des Hyperspace anwenden, um danach mit einem - gewagten - Erklärungsversuch für die Faszination am Hyperspace zu schließen.

2. Der Begriff Hyperraum

Was ist der Hyperraum? Ich versuche dieses Phänomen zu beschreiben, ohne mich an eine präzise und ausgefeilte Definition zu wagen. Der Hyperraum ist - von den NutzerInnen her betrachtet - eine neuartiges Netz von Kommunikationsmöglichkeiten mit besonderen Eigenschaften, auf die weiter unten noch genauer eingegangen werden wird. Er setzt dabei das traditionelle Geschichte von Kommunikationskanälen fort und erweitert es um eine neue Schicht. War die Kommunikation in der Frühzeit der Menschheit durch Unmittelbarkeit und Direktheit, ohne technische Unterstützung gekennzeichnet (der Direktkontakt in Sicht- und Hörweite war wahrscheinlich die einzige Verständigungsform), traten bei Ausdehnung des gemeinsam genutzten Gebietes neue Erfordernisse der Koordination und Kommunikation auf. Jodeln, Pfeifen, Rauchzeichen, Trommeln, Marathonläufer, Meldereiter und Postkutsche sind als Vorformen jener Kommunikationstechnologien anzusehen, die sich in Europa in Form von technisch gestützten Netzen nach der französischen Revolution ausbreiteten. Mit dem optischen Telegraphen des Herrn Claude Chappes, der zunächst vorwiegend militärischen Anwendungen diente und der neuen Raum- und Zeitordnung der Revolution (Einteilung Frankreichs in etwa gleich große Departements bzw. Arondissements und vorübergehend neuer Kalender) entgegenkam, entstanden die ersten (sternförmig vom Zentrum Paris ausgehenden, und damit die herrschende soziale Hierarchie physisch zum Ausdruck bringenden) Kommunikationsnetze. Sie entsprachen den Bedürfnissen der nachrevolutionär entstandenen Nationalstaaten mit einheitlicher Verwaltung und demokratischer Verfassung nach gleicher und rascher Erreichbarkeit aller Teile des Landes zur Weitergabe von Anordnungen aus dem Zentrum und von Mitteilung aus der Peripherie. Der elektrische und der Funktelegraph, das Telephon und die Funktelephonie, der Rundfunk und das Fernsehen, sind als weitere Meilensteine der Informations- und Kommunikationstechnologie zu nennen. Immer mehr Bereiche wurden in die Vernetzung einbezogen, ausgehend vom Militär und der staatlichen Verwaltung dehnten sich die Netze auf die Unternehmen aus und erfaßten schließlich mehr und mehr das allgemeine Publikum. Heute ist die sprachliche Mobilkommunikation besonders gefragt, und diese immer mehr in Kopplung mit persönlicher Kommunikation (also ubiquitäre Erreichbarkeit der Einzelperson, nicht mehr beschränkt auf eine besondere Station, site-orientierte Kommunikation).

Die militärischen Erfordernisse der USA mit ihrer aus dem kalten Krieg resultierenden Angst vor einem Atomschlag der Sowjetunion brachten das erste elektronische Netz hervor. Es sollte eine dezentrale Kommando- und Informationsinfrastruktur auf elektronischer Basis geschaffen werden, die auch dann noch funktionstüchtig bleibt, wenn große Teile des Netzes ausgefallen sind. 1973 wurde von DARPA (U. S. Defense Advanced Research Projects Agency) ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben, in dem die Kopplungsmöglichkeiten verschiedener Paketvermittlungsnetzwerke studiert werden sollten. Ziel war die Entwicklung einer einheitlichen Vorschrift, wie Informationspakete ausgetauscht werden sollten, ein sogenanntes Protokoll. Dieses Projekt hatte den Namen "Internetting Project", das darauf aufbauende erste Netz von Netzwerken wurde "Internet" genannt, das Protokollpaket wurde TCP/IP getauft, da es aus zwei Protokollen, Transfer Control Protocol (TCP) und Internet Protocol (IP), zusammengesetzt worden war. Das erste Netz umfaßte nur wenige Computer. Glücklicherweise mußte das Netz nie den Ernstfall erleben. Sein Einsatz blieb auf wenige Anwendungen beschränkt, so etwa vor allem auf den ersten und wichtigsten Dienst im Internet, auf den Austausch von Texten via Computer, der sogenannten elektronischen Post, kurz e-mail genannt. Weitere Verwendungszwecke waren die Fernbedienung von teuren Computeranlagen durch Forschungsinstitute und die Abhaltung elektronischer Konferenzen zwischen Politikern und Militärs. Da die Protokolle öffentlich zugänglich waren und sich jede Institution an das Netz anschließen konnte, wurde der militärische Teil des Netzes relativ gesehen immer kleiner und fand sich bald einer Mehrheit von zivilen Nutzern gegenüber. Aus Sicherheitsgründen zog sich das Militär mit MILNET aus dem Verbund zurück und überließ das Feld der National Science Foundation, die wieder kommerzielle Unternehmen mit den für die Administration wichtigen Diensten betraut hat. Mittlerweile sind - die Zahlenangaben differieren stark - zwischen 20 und 50 Millionen BenützerInnen im Internet, die Zahl der angeschlossenen Großrechner (Server) verdoppelt sich alle 7 Monate, derzeit sind es rund 2 Millionen. Mehrheitlich stammen die Nutzer aus der akademischen Welt (in Österreich sind mehr als 60 Prozent der Universitätsarbeitsplätze mit einem Internetzugang ausgestattet) und aus den Angestellten von transnationalen Konzernen, aber immer mehr finden das breite Publikum und auch Klein- und Mittelbetriebe Anschluß an das Internet, über die Internet-Provider Eunet, ping, vianet, in medias res, magnet sowie IBM. Die Zahl der Teilnehmer liegt in Österreich bei etwa hundert- bis zweihunderttausend (Die Zahl ist sehr unsicher).

Das Internet ist aber nicht das einzige vorhandene elektronische Netz. Compuserve (seit 1979 online und damit der älteste kommerzielle Anbieter, betreut von Columbus, Ohio, aus etwa 2.5 Millionen Kunden mit allen Arten von Information, von Datenbanken bis zur Suche nach vermißten Kindern. Seit kurzem ist Compuserve auch in Wien mit einem Knoten vertreten), Prodigy (die Nummer zwei im Staate New York, ein Gemeinschaftsunternehmen mit IBM, hat ca. zwei Millionen Nutzer, Zielgruppe: Familien), America Online (in Vienna, Virginia, angesiedelt, mit 1.5 Millionen Kunden, hobby- und familienorientiert), kleinere amerikanische Anbieter wie Genie (General Electric), Delphi (News Corporation) oder E-World (Apple) betreuen insgesamt etwa 6 Millionen. IBM macht sich mit OS/2 Wharp, dem neuen Betriebssystem, das einen direkten Internetzugang über das IBM-Netz bietet, selbst Konkurrenz. Microsoft-Wunderkind Bill Gates will mit einem Trick die Nutzung seines hauseigenen Netzes vorantreiben. In die neue Version von Windows, (Windows 95) soll ein Internet-Zugang so integriert werden, daß durch Anklicken eines entsprechenden Icons ein Microsoft-Computer angerufen wird. Da Microsoft die derzeit am weitesten verbreitete Systemsoftware für PCs liefert, ist diesen Überlegungen ein hoher Grad von Erfolg vorherzusagen.

Daneben gibt es noch sogenannte freie Netze auf Vereinsbasis, wie etwa Freenet, Peacenet. In Österreich bieten speziell alpin, Blackbox und viele andere bestimmte Netzdienste an, vor allem e-mail oder Diskussionsgruppen des USENET, kommerziell und über Telefonmodem.

Der durch die elektronische Vernetzung aufgespannte Hyperspace besteht technisch gesehen aus drei wesentlichen Elementen:

1. Das weltweite elektronische Netzwerk (hier kommt es auf das geeignete Übertragungsprotokoll, eine möglichst große Bandbreite der Übertragungskanäle, weltweite Ausdehnung, hohe Flächendeckung und hohe Störungsresistenz an).

2. Die lokale Symbolverarbeitungskapazität

(hier geht es um leistungsfähige Hilfsrechner für die Subnetze, und einen möglichst schnellen PC beim Benutzer).

3. Die Benutzerschnittstelle (geeignete Hard- und hochwertige Software zur Nutzung der angebotenen Dienste, vor allem im Multimedia-Bereich).

Letzteres Element, die Benutzerschnittstelle, neudeutsch: user-interface, stellt das Tor zum Hyperspace dar. Sie ist jener Ort, an dem sich der Übergang von der vorgefundenen Welt (irl, in real life, wie die Netter sagen) in ein virtuelles Reich vollzieht, das ausschließlich von Menschen konstruiert ist. Die Form dieses Übergangs hat bereits seine Geschichte. Genauso wie sich die Hardware in Generationensprüngen weiterentwickelte (mechanische Rechenwerke auf Relaisbasis, Elektronenröhren, Transistoren, Integrierte Schaltkreise, VLSI - Very Large Scale Integration), hat auch die Oberfläche des Computers beachtliche Veränderungen erfahren. Waren es anfangs die IBM-Gurus, die von den Volkszählungsaufgaben in USA und Österreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Prinzip der Lochkarte als Kommunikationsinstrument mit der Maschine übernommen und den Computer zum Träger einer Geheimsprache entwickelt hatten, die nur Eingeweihten, und damit IBM-Angestellten zugänglich war, hat Rank-Xerox in Palo Alto durch die Einführung von Menü- und Iconsteuerung einen Durchbruch erzielt, der heute von den meisten Betriebssystemen übernommen wurde (etwa vom Apple Macintosh und von Microsoft Windows). Die Benutzung ist dadurch viel leichter geworden und erfordert nicht mehr den Aufwand eines ganzen Informatikstudiums.

Eine weitere Entwicklung, die dem Hyperspace einen Teil seines Namens verlieh, muß besonders erwähnt werden, da sie auch den Eintritt ins Netz wesentlich erleichtert hat und die Möglichkeiten des Hyperspace auf Mausklick einfach zugänglich macht: Die Erfindung des Hypertextes durch Vannevar Bush, Direktor des US Office of Scientific Research and Development, der sechstausend Wissenschaftler koordinierte, um ihre Expertise militärischen Zwecken zuzuführen. Dr. Vannevar Bush hat 1945 als Perspektive für die Wissenschaft, die über den krieg hinausweisen soll, das Konzept einer Wissensmaschine, Memex (memory expander), entworfen ("As We May Think", Original im Juli-Heft 1945 des The Atlantic Monthly; Netzadresse: http://www.csi.uottawa.ca/~dduchier/misc/vbush/as-we-may-think.html), das später von Ted Nelson in seinem Xanadu-Projekt 1965 aufgegriffen wurde. Ihm schwebte ein weltweites elektronisches System vor, in dem alles jemals Geschriebene zugreifbar und miteinander vernetzt ist. Sein Netz hatte grass-root-Züge, war anarchisch und basisdemokratisch ausgerichtet - diese Seite wird von den Hypertext-Geschichtsschreibern gerne vernachlässigt.

Hypertexte (auch nichtlineare Texte der nichtlineare Bücher genannt) sind am besten mit einem Lexikon zu vergleichen, das Verweise auf Verweise auf Verweise... enthält. Der Leserin ist es selbst überlassen, welchen Weg sie durch das Informationsangebot wählt. Das Durchwandern des Textes kann auf die verschiedene Art geschehen, je nach Interesse oder persönlicher Vorliebe. In bestimmter Weise wird die Selbsttätigkeit des Lesers angeregt und so verstärkt, daß man von einer Annäherung des Lesers an die Rolle des Autors sprechen kann. Auf der Wanderung werden viele Informationen auftauchen, nach denen gesucht wurde, aber vielleicht noch mehr, die a-priori unbeabsichtigt auf dem Wege mitgenommen werden. So anregend und lehrreich eine solche Wanderung sein mag, so groß kann auch die Gefahr der Ablenkung vom vorgefaßten Weg werden.

Beispiel eines Hypertexts (Quelle: Margit Pohl und Peter Purgathofer)

Die Wanderung, die bei heutiger Technologie (seit der Erfindung von Hypercard durch Bill Atkinson von Apple im Jahre 1987) auf einem Bildschirm und über Mausklick erfolgt, bringt auch andere Probleme mit sich. Erstens ist die Information auf einem Bildschirm immer noch nicht besonders angenehm zu lesen (empirische Studien sprechen von einer schnelleren Lesegeschwindigkeit bei Texten auf Papier), sodaß die Texte relativ kurz sein müssen. Das mag bei vielen Texten eine Erleichterung darstellen, bei manchen wird es aber dem komplexen Aufbau, der ausführlichen Darstellung eines breiten Gedankenganges oder der Schönheit einer breit angelegten Prosa (wie etwa bei Adalbert Stifter) nicht gerecht. Dagegen würde Wittgensteins Traktatus durchaus als Vorläufer eines Hypertexts aufgefaßt werden können, wo kleine Textstücke, akribisch numeriert und mit Verweisen ausgestattet, aneinandergereiht werden. Zweitens kann ein Phänomen auftreten, das unter dem englischen Kürzel "lost in hyperspace" firmiert. Ist die Software nicht so gestaltet, daß ein Logbuch geführt wird oder eine Übersichtslandkarte anzeigt, wo frau sich gerade befindet, kann es verzweifelter Suchanstrengungen bedürfen, bis man sich wieder auf dem richtigen Weg befindet.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß moderne Hypertext-Varianten sich bei ihren Verweisen nicht mehr nur auf Text beschränken. Verweise und Verwiesenes können nunmehr farblich oder graphisch besonders ansprechend gestaltete Texte sein, oder aber auch Tabellen, Diagramme, Bilder, Tonsequenzen, Musikstücke in Digitaltechnik, ja ganze Videos kommen als Ziel für Verweise in Frage.

Das modernste Einfallstor in den Hyperspace, das World Wide Web (WWW), nützt die Hypertext-Eigenschaft für die Dar- und Herstellung möglicher elektronischer Verbindungen über weite Strecken und erlaubt gleichzeitig den Zugang zu klassischen Diensten wie e-mail, ftp, gopher, veronica, wais, archie usw. Die Softwarepakete Mosaik (kommerzielle Variante Netscape, entwickelt vom bei CERN in Genf) oder MacWeb bieten WWW-Zugang über Hypertext mit allen Hypermedia-Möglichkeiten an, wobei die Verweise nicht nur auf lokal im Speicher befindliche Information beschränkt sind, sondern beliebige Adressen im Netz bedeuten können, zu denen in kürzester Zeit durchgeschaltet wird, wenn durch einen Mausklick die entsprechende Stelle am Schirm aktiviert wurde. Dem Benutzer bleibt der tatsächliche Speicherort der Information im Standardfall verborgen (außer er will es ganz genau wissen). So sind mit einer Hypertextoberfläche weite Reisen im Datennetz möglich, wobei sich die Entfernungsangaben nicht nach den Kilometerdistanzen richten, sondern die Zahl der Mausklicks zählen, die es braucht, bis ein Ziel erreicht wird (z.B. TU-Graz: Two mouseclicks away). Die Sprache der Netzes hat diese andere Art des Durchwanderns von Hypertexten mit einem eigenen Namen belegt, der für die moderne Medienkultur typisch ist: Nicht mehr Lesen, sondern Surfen (der selbe Ausdruck wird auf für das rasche Durchschalten durch das TV-Senderangebot per Fernbedienung verwendet) ist das nunmehr verwendete Verbum. Damit wird ein anderer Umgang mit Informationen signalisiert. Nicht mehr das lineare Durchgehen eines Buches, wie es im klassischen Unterricht bei Lehrbüchern verlangt war, wird praktiziert, sondern eine eher spielerische, im günstigen Fall sogar kreative Auseinandersetzung mit Information. Es reflektiert sich meines Erachtens darin der generelle Individualisierungstrend in unserer Gesellschaft, die zunehmende Autonomisierung des Individuums, auch beim Wissenserwerb. Welche Folgen diese Wendung in der Darstellung und Aneignung von Wissen auf längere Sicht auf unsere Denkweise haben wird, ist noch nicht abzusehen. Manche (Bolter und Boltz) sprechen vom Heraufkommen einer neuen Oralität, da die Schriftlichkeit wie in den Zeiten der Ilias und Odyssee eine Abwertung erfahren würde. Bilder und Töne, ja das direkte Gespräch via Visiphon, würden den Informationsaustausch dominieren und damit die Errungenschaft des kritischen Denkens wieder zum Verschwinden bringen, die durch eine kritische Haltung gegenüber Texten massenweise ermöglicht und seit der Zeit des Buchdrucks erworben werden konnte.

Aber nicht nur die Leserseite kann ausgebaut werden. WWW-Server (Programme und Hardware, die das Angebot von Hypertexten mit Querverweisen auf andere Adressen des Netzes beinhalten) erlauben es bereits heute und auf einfache Weise, aus den optisch und ansprechend gestalteten Seiten eines Textverarbeitungsprogramms eine WWW-Seite zu erstellen und weltweit im Netz anzubieten. Leicht und einfach können e-mail-Anwortmöglichkeiten, Verweise auf andere Informationen in der ganzen Welt, Bilder, Texte, Videos, Töne und Musik angeordnet und Gästen am eigenen Rechner via Internet zur Verfügung gestellt werden. Damit ist ein wesentlicher Schritt zur Erhöhung der Interaktivität des Netzes getan worden. Die NutzerInnen werden gleichzeitig zu Informationsanbieterinnen.

Die derzeitige Gestaltungsmöglichkeit und technische Leistungsfähigkeit des user-interface läßt schon erahnen, welche Entwicklungen auf uns zukommen könnten. Bei weiterer Steigerung der Fähigkeit zur Bildverarbeitung ist nicht nur die Konvergenz zum Fernsehen absehbar. Bereits jetzt gibt es schon die Möglichkeit, eine Videokonferenz über das Netz abzuhalten, wenn man lokal über eine billige Videokamera verfügt. Der Netzdienst CUSeeMe macht's möglich, wenn auch die Bilder eher einer Abfolge von Standfotos mit ruckartigem Übergang gleichen als einer TV-Übertragung. Die Anbindung des künftig schneller und breitbandiger gewordenen elektronischen Netzes an HMDs (Head Mounted Displays) und Datenhandschuh sind dennoch technisch nur noch eine Frage der Zeit, die völlige Einbettung des Benutzers in eine virtuelle Realität, also in eine alle seine Sinne täuschende virtuelle Umgebung (vom Gesichts- und Gehörsinn bis zum Reiz, der auf jeden Punkt der Körperoberfläche ausgeübt werden kann) ebenfalls.

3. Eigenschaften und Potentiale

Nach deskriptiven Darstellung des Hyperspace soll gefragt werden, welche Eigenschaften er für die Benutzer besitzt. Er ist

* interaktiv

in zweierlei Hinsicht: Einerseits sind sie benutzergeleitet, d. h. die einzelnen Benutzerschritte lassen sich über das Interface unterbrechen, neue Schritte lassen sich einleiten (zum Unterschied von einer guided tour, die wie ein Film abspult, dessen Ablauf nicht verändert werden kann). Diese Interaktivität ist jene zwischen Mensch und Computer. Andererseits ermöglichen die elektronischen Medien weitestgehende Interaktivität zwischen den Menschen im Netz. Jede e-mail kann auch beantwortet, jede Newsgroup kommentiert, jede WWW-page kritisiert werden. Hierin liegt der große Unterschied zum wichtigsten Konkurrenten des Hyperspace, zum linearen Buch. Im Buch kann man keine Mitmenschen aus Fleisch und Blut treffen, sich mit ihnen unterhalten, scherzen. Für die zukünftige Entwicklung des Hyperspace ist diese Eigenschaft wahrscheinlich die wichtigste. Nichts interessiert die Menschen mehr als der Mensch (Intellektuelle ausgenommen!).

* disponibel

Der Hyperspace kann technisch gesprochen jederzeit und überall (soweit der Datenhighway reicht und soweit die technischen Zugangsbedingungen erfüllt sind) betreten oder verlassen werden. Unter den obigen Einschränkungen ist die Orts- und Zeitwahl des Eintritts frei möglich (anders als z. B. beim Kino- oder dem konventionellen TV-Programm - erst video-on-demand könnte bei letzterem eine Veränderung bringen). Der Eintritt in den Hyperspace ist damit potentiell immer und überall offen. Die tatsächliche Nutzung kann leicht an das persönliche Zeitbudget und die fremdbestimmten Rahmenbedingungen angepaßt werden

* selektiv

Das Programm, der Dienst, die gewünschte Stelle im Netz läßt sich frei wählen. Voraussetzung ist die Freigabe der Information auf der Gegenseite und ein entsprechendes reichhaltiges Angebot. Für den Wissenschaftsbetrieb ist das Angebot an papers, Diskussionsrunden, mailing-lists, Bibliotheksverzeichnissen usw., aus dem ausgewählt werden kann, bereits heute buchstäblich als überwältigend zu bezeichnen.

* multimedia-fähig

Der Hyperspace hat eine Tendenz zur Integration der medialen Angebote (Text, Bild und Ton) auf der gleichen Benutzeroberfläche (Lutz vom Duttweiler-Institut spricht daher von Multi-Screen). Mit dem Schlagwort Multimedia wird von den EDV-Konzernen am häufigsten geworben, bietet es doch die Möglichkeit, bisherige Geräte obsolet werden zu lassen und einen Markt für neue zu erzeugen. Die meisten vorhandenen Multimedia-Anwendungen sind noch nicht besonders beeindruckend. Sie stellen ein eher additives Sammelsurium des konventionellen Medienangebots dar und das auf einer qualitativ schlechteren Basis (vergleicht man mit dem Kinofilm) als daß sie eine qualitativ neue Stufe erreicht hätten. Ein positives Beispiel sind vielleicht die CD-ROM-Enzyklopädien, die zur Illustration komplizierter wissenschaftlicher Probleme neben ausführlichen Artikeln Grafiken, kleine Tonvideos und sprachliche Erläuterungen anbieten.

Hier ist vielleicht eine Anmerkung über den Umgang der Menschen mit abstrakten Informationen angebracht, die sich nur auf ein Sinnesorgan beziehen. Mit der Ergänzung der unmittelbaren Kommunikation durch neue Medien war zwangsläufig ein Abstraktionsvorgang verbunden. Die volle Wahrnehmung der Menschen mußte beschnitten werden, wollte man Kommunikation über weite Strecken ermöglichen. Dennoch erwiesen sich diese Formen als höchst erfolgreich (man denke an das Telefon oder das gedruckte Buch), da Menschen offenbar im Stand sind, im Kopf die Rekonstruktion des Ganzen vorzunehmen, eine Art qualitativer Extrapolation in ihrer Phantasie. Information ist in diesem Sinne nicht das, was eigentlich übertragen wird (also nicht die entsprechenden Bitmuster, die von Claude Shannon gemessen wurden), sondern das, was im Kopf aufgrund dieser Bitmuster selbstorganisiert erzeugt wird. Dies scheint mir eine der wesentlichen menschlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Medientechnik überhaupt zu sein. Es wird sich erst zeigen, ob das Multimedia-Konzept der Konzerne wirklich aufgeht, oder ob sich nicht mehrere spezialisierte Dienste, jeweils auf wenige Medien beschränkt, durchsetzen werden.

* abstrakt und vermittelt

Die Abstraktheit der elektronischen Kommunikation gegenüber der unmittelbaren, persönlichen, wo alle Sinne der Menschen einschließlich ihrer Leiblichkeit aufeinander wirken, bringt Möglichkeiten der Täuschung hervor. Von mir existiert im Hyperspace nur ein Text, der Absender ist nur anhand der Buchstabenkombination auf dem elektronischen Brief erkennbar. Alle diese Kennzeichen können absichtlich oder unabsichtlich verändert worden sein. Da alle Informationen auf digitaler Basis verarbeitet werden, sind sie alle der Manipulationsmöglichkeit unterworfen. Die Antwort auf dieses Problem wird in der Verschlüsselung der Informationen gesehen, wobei zwei Wege denkbar wären: Hardware- oder Softwareversschlüsselung. Der erste Weg ist schnell, aber teuer, der zweite billiger, aber langsam (und daher für Bildübertragung nicht geeignet).

Verschlüsselung ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits sind die heutigen unsymmetrischen Verfahren so sicher, daß sie so gut wie nicht geknackt werden können, und daher in idealer Weise die Vertraulichkeit sicherstellen würden, andererseits kann genau diese Vertraulichkeit mißbraucht und für kriminelle Zwecke ausgenützt werden. Das Problem ist so alt wie der optische Telegraph. Die französische Revolutionsregierung erlaubte die Benützung ihrer Telegraphenlinien daher nur unter dem Verschlüsselungsverbot und mit Ausweispflicht. Das Verschlüsselungsverbot gilt formal immer noch (allerdings ist es schwer zu kontrollieren).

Die Abstraktheit der Übertragung hat gute und schlechte Seiten. Positiv schlägt zu Buche, daß Unterschiede des Geschlechts, der Rasse, der äußeren Erscheinung, in den Dialogen auf textlicher Basis keine Rolle spielen müssen, und die Diskussion daher vorurteilsfrei und unbelastet vor sich gehen kann, andererseits fehlen emotionale Komponenten, die durch eine eigene Symbolik, den sogenannten emoticons, in Form von Varianten der smilies in e-mails verwendet werden. Sie charakterisieren den emotionalen Zustand des Senders durch eine kreative Anordnung von ASCII-Zeichen zu um 90 Grad gedrehten Gesichtern in der entsprechenden Stimmungslage (siehe folgende Beispiele direkt aus dem Netz mit Adressenangabe). Die emoticons eröffnen trotz textueller Beschränkung ein Alphabet für einen emotionalen Raum, der den Akteuren dadurch zugänglich wird.

The Unofficial Smilie Dictionary

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:-) Your basic smilie. This smilie is used to inflect a sarcastic or

joking statement since we can't hear voice inflection over Unix.

;-) Winky smilie. User just made a flirtatious and/or sarcastic remark.

More of a "don't hit me for what I just said" smilie.

:-( Frowning smilie. User did not like that last statement or is upset

or depressed about something.

:-I Indifferent smilie. Better than a Frowning smilie but not quite as

good as a happy smilie

:-> User just made a really biting sarcastic remark. Worse than a :-).

:-> User just made a really devilish remark.

;-> Winky and devil combined. A very lewd remark was just made.

Those are the basic ones...Here are some somewhat less common ones:

(-: User is left handed

%-) User has been staring at a green screen for 15 hours straight

:*) User is drunk

[:] User is a robot

8-) User is wearing sunglasses

B:-) Sunglasses on head

::-) User wears normal glasses

B-) User wears horn-rimmed glasses

8:-) User is a little girl

:-)-8 User is a Big girl

:-{) User has a mustache

:-{} User wears lipstick

{:-) User wears a toupee

}:-( Toupee in an updraft

:-[ User is a Vampire

The world's biggest smiley (sort of)

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Make sure to use these little pals frequently, I get .02 cents royalty on each one ;-> (see there's another .02!)

witzelsucht (vit'sel-zoocht) [Ger.]

"A mental condition characteristic of frontal lobe lesions and marked by the making of poor jokes and puns and the telling of pointless stories, at which the patient himself is intensely amused."

This isn't me!! Honest, guys, this isn't me!!

Donald "Dice Freak" Daybell daybell@aludra.usc.edu

FLAMING ist ein anderer Weg, der Abstraktheit zu entkommen. Die wenigen Gestaltungselemente der textuellen Darstellung werden ausgenützt, um eine besondere emotionale Aufladung anzuzeigen. Texte in Großbuchstaben (FLAMES) werden von den Nettern als Geschrei empfunden - gegenüber dem normal in Kleinbuchstaben verfaßten Text. Sie enthalten oft auch ziemlich kräftige Ausdrücke.

In bestimmten Diensten des Internet, in den sogenannten MUDs (Multi User Dungeon, Multi User Dimension), eine Art textuelles Abenteuerspiel im Netz, wird aus der Not der Abstraktion ein Sport gemacht: Gender-swapping. SoziologInnnen befassen sich bereits ausführlich mit diesem Thema (Litangabe Bruckmann, Laurel). Der user meldet sich in einem MUD unter einem Phantasienamen an, der entweder sein Geschlecht signalisiert, oder eine geschlechtsneutrale Bezeichnung bietet. Niemand kann sicher sein, wer oder was sich dahinter verbirgt. (Graphik im New Yorker: "On the Internet, nobody knows you're a dog"). Gender-swapping kann dabei helfen, die je nach Geschlecht unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Umgangsformen am eigenen "Leibe" zu erfahren und so ein besseres Verständnis der gesellschaftlichen Rollenzuweisungen zu erzeugen. Die Netter nützen diese Freiheit aber auch zu erregenden sexuellen Gesprächen, in denen die Phantasie der einzige wesentliche Baustoff ist. Mir wurde von einer Hochzeitsnacht im Netz berichtet, vollzogen zwischen einem Universitätsassistenten und seiner Freundin (irl) an einem Computer in Berlin, die (virtuell) den weiblichen Part darstellten, einerseits, und einem vorgeblich männlichen Schweden in Stockholm, andererseits. Der Geschlechtsakt wurde mangels englischer Detailsprachkenntnisse anhand eines in Berlin vorhandenen deutsch-englischen Wörterbuchs vollzogen.

* asynchron

Genau wie bei der Briefpost sind die Kommunikationsbeziehungen im Hyperspace (mit wenigen Ausnahmen) vermittelt und indirekt. Es gibt zwischen Sender und Empfänger immer eine Zwischenablage, wo die gesendete Information abgelegt wird, ohne daß sie der Empfänger sofort lesen müßte. Dadurch werden die globalen Zeitunterschiede in ihrer kommunikationshemmenden Wirkung gedämpft (Ich schreibe eine e-mail am Vormittag nach USA, die dort am lokalen Vormittag, für mich also erst am Nachmittag, gelesen wird), kurzfristige Unerreichbarkeit spielt keine große Rolle. Asynchronizität wird im Informationsaustausch zwischen zwei Personen eher als vorteilhaft empfunden. Bei Beteiligung von mehreren Personen an einer e-mail-Konferenz kann es zu grotesken Situationen kommen (so geschehen vor wenigen Tagen bei einer Hyperspacekonferenz mit dem grünen Abgeordneten Christoph Chorherr) in der Blackbox. Die Fragen und Antworten verloren die zeitlich korrekte Reihenfolge. Die Teilnehmer erhielten vorerst keine Antworten auf die Fragen, die sie gestellt hatten, sandten daher weitere Fragen in die entstandene Pause. Der Abgeordnete empfing die erste, vorher gestellte Frage später als die zweite, beantwortete sie also zuerst, wobei es durchaus geschehen konnte, daß die Antworten beim Anfrager zufällig wieder in derselben Reihenfolge eintrafen wie erwartet.

Im Hyperspace gibt auch einige Dienste, die - obwohl das Protokoll auf asynchroner Basis arbeitet - Synchronizität simulieren. IRC (Internet Relay Chat), eine Art interaktives Fernschreiben über das Netz, oder das schon erwähnte Internet-Videokonferencing, CUSeeMe, erzeugen pseudosynchrone Kanäle, in denen die zeitliche Reihenfolge der Aktionen erhalten bleibt. Die für Video-on-demand notwendige Synchronizität (dabei soll während der gesamten Übertragung des Videos ein Kanal beständig zur Verfügung stehen) macht dagegen ein alternatives Protokoll erforderlich, das aus einer trickreichen Verbindung von synchronen und asynchronen Elementen besteht. Versuche mit einem solchen Protokoll mit dem irreführenden Namen ATM (Asynchronous Transfer Mode) sind bereits - auch in Österreich - im Gange.

* dienstintegrativ

Verschiedene Netzdienste und lokale Programme können leicht gewechselt, aufgerufen und beendet werden. So kann ein Textverarbeitungsprogramm genauso nur einen "mouseclick away" sein wie ein e-mail-Paket, daneben kann eine Simulation laufen oder eine WWW-Seite angezeigt werden. Wenn gewünscht läßt sich mit telnet sofort auf einem fremden Computer rechnen oder in einer CD-ROM-Enzyklopädie blättern, in der ein Video über die Funktion des Otto-Motors abgerufen werden kann. Auf den ersten Blick mag diese Eigenschaft nicht so wichtig erscheinen, aber in der gängigen Wissenschaftspraxis werden viele Dinge unterlassen, einfach weil man die Mühe eines klärenden Telefonats oder des Nachschlagens in einem Lexikon nicht auf sich nehmen will.

* anschlußfähig an die traditionelle Arbeitswelt

Da viele der Tätigkeiten der Menschen, vor allem in der wissenschaftlichen, aber auch zunehmend in der sonstigen Arbeitswelt computerunterstützt durchgeführt werden, sind (Zwischen-) Produkte aus dieser Umgebung leicht in den Hyperspace zu ex- bzw. vom Hyperspace in den traditionellen Kontext zu importieren, ohne dass die Schnittstelle verlassen werden muß, an der ohnehin gearbeitet wird.

Einige der hier aufgezählten acht Eigenschaften treffen auch auf andere traditionelle Medien zu. In vollem Umfang sind sie nur für den Hyperspace gültig.

4. Veränderungen der Raum- und Zeitstruktur bei den NutzerInnen

Und nun kommen wir zu den Fragen, die das eigentliche Thema der Vortragsreihe berühren, den Fragen der Veränderung der Raum- und Zeitstruktur, von Entgrenzung und Beschleunigung. Hier ist eine Differenzierung der Fragestellung angebracht. Wir sollten zwischen Veränderungen außerhalb und innerhalb des Hyperspace unterscheiden, außerhalb, da der Hyperspace Abkürzungen ermöglicht, die vom Standpunkt der traditionellen Topologie unmöglich sind, innerhalb, da er als vollwertiger Raum selbst neue Orte, Beziehungsmuster, Nähe und Distanz bietet.

Wie die obigen Beispiele bereits klargemacht haben sollten, ist im Hyperspace die Überwindung der traditionellen geographischen Distanz zwischen den Menschen in bezug auf den Informationsaustausch ein gelöstes Problem. Lichtschnelle Übertragungswege bieten beschleunigte, grenzenlose Kommunikation. Allerdings gilt diese Aussage häufig nur in der Theorie und bedarf in der Praxis wesentlicher Einschränkungen. Wie oft habe ich schon erleben müssen, daß am Nachmittag die Informationsübertragung von amerikanischen sites entweder sehr, sehr langsam vor sich geht (die Datenübertragungsrate fällt beinahe auf null) oder wegen Überlastung der sites der Zugriff überhaupt unmöglich geworden ist (wenn man etwa später als der 100. Nutzer kommt, der sich der Informationen dieser site oder eines Dienstes bedienen will, meldet sich das Netz mit "connection refused by host", "try again later" usw.). Diese Verzögerungen haben dem Kürzel WWW bereits im Netter-Mund eine andere als die ursprüngliche Bedeutung unterschoben: WWW heißt dann "World Wide Waiting"... Andere sprechen vom Stau auf der Datenautobahn. Je mehr Teilnehmer sich dem elektronischen Netz anschließen, desto häufiger sind derartige Wartezeiten und Unzugänglichkeiten zu erwarten. Die Gegenbewegung kommt von der Netztechnologie und von den entsprechenden Investitionen in Systeme mit höherer Bandbreite, vor allem in Glasfaserkabel (fiber optic).

Problematischer ist schon die Schrumpfung des Raumes für diejenigen, die weder über Geld noch Zeit noch Bildung verfügen, sich in den Hyperspace zu begeben. Hier ist eine entsprechende Informationspolitik der Regierung bzw. der Kommunen zu verlangen, die den gleichen und fairen Zugang für alle BürgerInnen und Bürger ermöglichen soll. Man beachte: Je mehr geographische Distanzen schrumpfen, desto wichtiger werden die sozialen.

Folgt man dem Medienfieber mit kühlem Kopf und nimmt die hochgespannten Erwartungen ernst, zeichnet sich einerseits eine zusätzliche Topologie zwischen den Menschen ab. Bisher weit entfernte Orte werden nahe, traditionell nahe Orte können sich entfernen (wenn sie etwa im Adressenverzeichnis nur schwer gefunden werden können, nicht vorkommen oder durch eine technische Störung unerreichbar geworden sind). Da wir Menschen uns im Alltag und im Durchschnitt aufwandsminimierend verhalten, werden die üblichen Kommunikationspartner und Kommunikationsmuster eine Veränderung erfahren. In meiner eigenen beruflichen Praxis habe ich den Eindruck der Verdichtung meiner Informationsbeziehungen. Ich brauche mehr Zeit, Kommunikation mit anderen zu betreiben. Für mich selbst (anders ausgedrückt, einfaches Nachdenken) bleibt weniger übrig. Was dies für die Qualität der Produkte wissenschaftlichen Arbeitens bedeutet, wage ich noch nicht einzuschätzen. Bessere und umfassendere Information aus allen Teilen der Welt steht einer kleineren individuellen Kapazität, die eingehende Information selbst zu strukturieren, zu bewerten und zu beurteilen, gegenüber. Meine e-mail-Liste am Morgen im Büro wird jedenfalls immer länger. Die traditionellen Poststapel werden leiden nicht im gleichen Verhältnis niedriger. Nach Urlauben benötige ich schon mehrere Stunden, meine e-Korrespondenz zu erledigen, Irrelevantes als solches zu erkennen, in den (virtuellen) Papierkorb zu werfen, Wichtiges zu archivieren, Dringendes sofort zu beantworten. Die Gefahr der Überlastung und des Ertrinkens in der Informationsflut ist nicht von der Hand zu weisen. Ich denke aber, daß sich im Lauf der Zeit die adäquaten Umgangsformen mit dem Hyperspace einstellen werden: Elektronische Post kann auch eine Zeit lang unbeantwortet liegenbleiben oder wird nur noch in periodischen längeren Abständen gelesen, Literaturrecherchen im Hyperspace werden nur in bestimmten Phasen eines Forschungsprojektes betrieben usw. Ein selektiver Umgang mit den elektronischen Medien ist auf jeden Fall erforderlich. Vielleicht sollte an den Schulen ein ausgewogener Umgang mit dem Hyperspace gelehrt werden, der nicht selbstzerstörerisch ist, Erholungszeiten und Nachdenkpausen als wichtige Elemente voraussetzt, der Reflexion über die eigene Tätigkeit Raum gibt, Phasen unmittelbarer Kommunikation mit anderen Menschen bewußt vorsieht und organisatorische Hilfen dafür bietet. Die Ähnlichkeit des Hyperspace mit einer Droge ist nicht nur zufällig. Wir kommen später darauf zurück.

In der Wissenschaft und der sonstigen Arbeits- und Lebenswelt werden jene Bereiche näherrücken, die über einen Netzzugriff verfügen. Dabei können sonst scheue oder irl isolierte Individuen eine Bühne erhalten, in der ihre psychische oder physische Situation keinen Nachteil bedeutet (so wird überlegt, Gefängnisse an das Netz anzuschließen), andererseits könnten Dialoge und Informationsaustausch quer über bisherige Abteilungs- oder Fachrichtungsgrenzen hinweg vorgenommen werden. Es liegt auf der Hand, daß die Nähe zu potentiellen Kunden einen besonderen Anreiz für Unternehmen bietet, via Hyperspace Werbung zu betreiben, Geschäfte anzubahnen und abzuwickeln. Die damit verbundenen rechtlichen Fragen der Gewährleistung, des Datenschutzes und des Urheberrechts sind allerdings weit von einer befriedigenden Lösung entfernt und weisen einen hohen Gestaltungsbedarf auf. Um die Legitimität und letztlich die Akzeptanz des Hyperspace nicht zu gefährden, sollte die konkrete Ausgestaltung weder autoritär von Spitzenpolitikern noch expertenorientiert vom Schreibtisch aus festgelegt werden, sondern breite Teile der Bevölkerung einbinden.

Soweit einige Argumente zur Nachfrageseite. Um das Auftreten des Hyperspace irl zu erklären, bedarf es einer Motivation von der Angebotsseite. Die klassischen Erklärungsstränge, ökonomische und politische Motive, sollen kurz angedeutet werden. Im Bereich der Wirtschaft zwingt die Konkurrenzsituation auf den Märkten zu Investitionen, die sich rechnen. Die neuen technischen Möglichkeiten zur Investition sind nicht auf die Hard- und Softwareindustrie beschränkt, sondern bieten Branchen Aktionsfelder, an die man zunächst gar nicht denken würde, oder führen zu neuen Allianzen. Wer hätte gedacht, daß die Bundesbahn im Hyperspace mitmachen würde? Sie ist nämlich der einzige Netzbetreiber, der nicht vom derzeitigen Monopol der Post berührt ist, Kabelverbindungen anzubieten, da sie über ein zusammenhängendes Grundstück verfügt, das sich auf ganz Österreich erstreckt. Was liegt dann näher, als die vorhandenen Kabelstränge mit Glasfasern auszurüsten und diese Netzkapazität auf den Markt zu bringen? Ähnliche Möglichkeiten erscheinen für die Verbundgesellschaft (sie umwickelt die Hochspannungsleitungen mit Glasfasern), die Landesgesellschaften der Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVUs) und die Kabel-TV-Gesellschaften. Sie werden die Branchenlandschaft umstrukturieren und neue Bündnisse und Kooperationen zwischen Sparten mit sich bringen, die bisher streng separiert agiert haben. Man denke an die Anbieter und Gestalter von Inhalten, Datenbankbetreiber, Informationsdienste, Designer, Künstler aller Art, Film-, Video-, TheaterproduzentInnen, Satellitenbetreiber, Verlage, Zeitungs- und Zeitschriftenherausgeber usw.

Österreich hat heute mit 60 Anschlüssen an einen Glasfaserring, der die Landeshauptstädte seit 1993 verbindet, die höchste Anschlußdichte Europas (Standard vom 17. 3. 95, S. 26). Damit ist es den Unternehmen möglich, rasche Datenübertragung (EDI) kostengünstig vorzunehmen (derzeit z.B. Zumtobel Leuchten, Radex-Heraklith, Swarovski, und einige Verlage) oder Arbeitsplätze in die Wohnungen der Beschäftigten zu verlagern (Telearbeit-Versuch von IBM-Österreich). Das dahinterliegende Motiv ist die ökonomische Konkurrenz. Mit dem ökonomischen Motiv in Verbindung steht auch das politische: Vor allem auf Betreiben des Forschungsministeriums sind heute mehr als 60 Prozent aller Universitätsarbeitsplätze mit einem Direktzugang ins Internet ausgestattet (Kostenpunkt: 60 Millionen S pro Jahr). Das dahinterstehende Ziel: Die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft soll durch eine qualitative Verbesserung und Internationalisierung des Forschungsprozesses erhöht werden. Die Landesregierungen beginnen sich zu vernetzen (Vorarlberg hat schon begonnen). Im Bereich der öffentlichen Verwaltung erzeugt der Hyperspace große Rationalisierungspotentiale (Prof. Traunmüller, Universität Linz, spricht von einem Drittel der Arbeitsplätze). Allerdings ist die Situation widersprüchlich: Einerseits sollen die Kosten der öffentlichen Verwaltung gesenkt , andererseits soll die Arbeitslosigkeit gering gehalten werden.

Obwohl hierzu noch vieles zu sagen wäre (ich verweise auf mein Referat bei der Österreichischen Statistischen Gesellschaft), breche ich hier ab, um mich der inneren räumlichen Struktur des Hyperspace und Fragen der Navigation anhand eines ausgewählten Besipiels, dem MUD, zuzuwenden. Die räumliche Struktur des Hyperspace insgesamt darzustellen wäre ein zu aufwendiges Unterfangen, da die Topologie je nach Netzdienst oder verwendeter Software eine andere ist.

5. MUDs

Wie schon angedeutet, handelt es sich bei MUDs um ein Computerspiel, das auch ernsten Zwecken zugeführt werden kann. MUD-Server stellen ein Instrument zum Aufbau einer virtuellen Landschaft mit Bauten und Zimmern zur Verfügung, die gleichzeitig von mehreren Personen bereist werden kann. Die Akteure, gleich, wo sie sich irl befinden, können Kontakt miteinander aufnehmen und kommunizieren. Das Ziel eines jeden Spielers ist es, in einem MUD zu überleben und sogar gestärkt aus der Interaktion mit anderen (menschlichen und vom Computer simulierten) Akteuren hervorzugehen.

Ich finde MUDs deshalb so interessant, weil sie weitgehend frei gestaltbare Subräume des Hyperspace darstellen und keinem äußeren Zwang unterworfen sind - außer dem kulturellen Kontext der agierenden Personen und den technischen Voraussetzungen. Dadurch wird ein MUD für mich ein aussagekräftiges Analyseinstrument für den kulturellen Rahmen, in dem er erstellt und gestaltet wird. Er kann als gesellschaftliches Labor gedeutet werden, in dem auch Alternativen getestet und erlebt werden können. Zentrale Frage ist, welche Objekte, Eigenschaften und Beziehungen aus der Wirklichkeit in die MUDs mitgenommen bzw. eingebaut werden. MUDs sind echte Produkte der Konstruktion, allerdings ist zu erwarten, daß die Übertragung der Wirklichkeit auf den MUD mit einer bestimmten Selektivität vorgenommen wird. Nicht alles kann mitgenommen werden, die "Mudder" müssen sich auf das für sie wesentliche beschränken.

Was wird tatsächlich in die virtuelle Realität übertragen? Ich unterscheide zunächst bestimmte Funktionen, die vom Programm zur Verfügung gestellt werden (Basisfunktionen, sozusagen die Pflicht), um später auf die freier gestaltbaren Formen einzugehen (die Kür).

Basisfunktionen

Identitätszuweisungsfunktion: Jeder Akteur wählt einen Namen, mit dem er im MUD identifiziert werden kann.

Orientierungsfunktion: Die Akteure können sich umsehen. Durch "look" erhalten sie eine Beschreibung ihrer Umgebung, durch "who" erfahren sie, wer sich mit ihnen im selben "Raum" aufhält.

Bewegungsfunktion: Die Akteure können sich (in sechs Richtungen: im Sinne der Windrose: West, South, North, East, plus Up and Down) im dreidimensionalen Raum bewegen, soweit es ihre Umgebung zuläßt. Durch eine Wand ist der Durchgang so wie irl versperrt.

Informationsfunktion: Die Akteure können sich schriftlich miteinander verständigen und textuelle Meldungen austauschen.

Handlungsfunktionen: Die Akteure können bestimmte Handlungen vornehmen (z. B. An sich Nehmen oder Benützen eines Gegenstandes).

Die erweiterten Funktionen sind je nach Spielregeln nur besonders geschickten Spielern zugänglich. Sie werden als wizards (Zauberer) bezeichnet.

Erweiterte Funktionen

Erweiterte Identitätsfunktion: Wizards können sich als andere Teilnehmer ausgeben, sie haben mehr als eine Identität.

Erweiterte Bewegungsfunktion: Wizards sind nicht an die sechs Bewegungsarten gebunden. Sie haben die Möglichkeit zu teleportieren oder Geheimtüren zu durchschreiten

Erweiterte Informationsfunktion: Wizards können sich als unsichtbare Lauscher der Konversation anderer betätigen und sich dadurch wesentliche Vorteile für den weiteren Spielverlauf verschaffen.

Erweiterte Handlungsfunktion: Wizards sind in der Lage, eigene Konstruktionen zu errichten, weitere Räume zu schaffen, auch ihre eigenen, privaten Räume, die nur für sie bzw. für jene zugänglich sind, denen das Geheimnis mitgeteilt wurde, wie man hineingelangt.

Es ist offensichtlich, daß hier einige Wiederspiegelungsvorgänge vorliegen. Mit der Verdopplung des physischen Raums in Gestalt der sechs Bewegungsrichtungen auf virtueller Ebene wird aber nicht nur die physische Realität bloß übernommen. Der so erzeugte Raum wird sozial aufgeladen und durch soziale Beziehungen geschieden. Wie irl gibt es gesellschaftliche Werte, in diesem Fall durch das Spielziel festgelegt, die Akteure müssen sich an der Wirklichkeit bewähren, wenn sie auch noch so virtuell ist, und werden durch eine Erweiterung ihrer persönlichen Macht belohnt.

Der Unsicherheit der Wirklichkeit wird durch die Simulation bestimmter Charaktere, von Ungeheuern, Feen, Elfen oder Kobolden, Rechnung getragen. Ihr Verhalten ist zufällig gesteuert und kann von den Spielern nicht vorhergesehen werden.

In der Praxis ist der sogenannte Immersionsgrad (Der Grad des Eintauchens in die VR) sehr hoch. Ich hörte Berichte von Studierenden, die mehrere Tage keine Nahrung zu sich nahmen, nur um jederzeit im MUD präsent zu sein. Manche Universitäten haben daher auch die Einrichtung von MUDs untersagt.

6. Interpretation I: Der MUD als technisch realisierter Mythos

In welchem Kontext lassen sich diese Befunde sinnvoll interpretieren? Ich kann mir mehrere wissenschaftliche Vorgangsweisen vorstellen. Da wir sehen, daß die Anlehnung an die wirkliche Gesellschaft mehr als nur Zufall ist, könnten wir versuchen, ein Modell der Gesellschaftswissenschaften auf MUDs anzuwenden, Ähnlichkeiten und Differenzen aufweisen und die Besonderheiten hervorheben, etwa das Modell der ökonomisch-politischen Analyse, wie es die Marxistische Politische Ökonomie bietet. Da MUDs aber meist eine nur unzureichende Wirtschaft aufweisen (obwohl in einzelnen MUDs sogar Geld vorkommt, das Spielpunkte als Währungseinheit besitzt, die durch erfolgreiches Durchstehen gefährlicher Situationen erworben werden) und die Kontinuität der wirklichen Produktion vermissen lassen, suchte ich nach methodischen Alternativen. Die Beschreibung der Spielsituation deutet an, daß das Script aus dem Fantasy-Milieu stammt. Dieses Genre (Typisches Werk ist Tolkiens "Herr der Ringe") legt nahe, daß ein Gesellschaftstyp auf früher entwicklungsgeschichtlicher Stufe Pate stand, der sich an den Götter- und Heldensagen, an den großen Erzählungen des Altertums, kurz an Mythen orientiert.

Und hier wurde ich insofern fündig, als die Mythenforschung in den Mythen trotz all ihren Variationen eine Gemeinsamkeit von Problemlagen aufweisen kann, die sich quer durch alle Gesellschaftstypen und Entwicklungsstufen zeigen lassen. Dies scheint nicht weiter verwunderlich, wenn Mythen als die erste Form gesellschaftlichen Bewußtseins gedeutet werden. Danach stellen sich im Mythos Fragen der Herkunft, der Erhaltung und dem Ende der Gesellschaft, nach Sexualität, Geburt und Tod. Mythen haben gegenüber der modernen, an den Naturwissenschaften orientierten Sicht der Welt den Vorteil, daß sie noch nicht am reinen Denken, an der reinen Anschauung, an Begriffen orientiert sind, wie sie seit Kant unserem heutigen Wissenschaftsverständnis zukommen, sondern die Leiblichkeit, Sinnlichkeit und Emotionalität der Menschen mitbehandeln, die der modernen Wissenschaft durch verschiedene Reinigungsrituale ausgetrieben wurden. In dieser Wissenschaftsauffassung liegt eine der Faszinationen am Hyperspace begründet, der den WissenschaftlerInnen sozusagen das reine Denken in Verbindung mit freier Kommunikation verspricht, sich aber niemals vollständig von den Nabelschnüren der vorhandener Materialität, von den menschlichen Leidenschaften und vom Feld gesellschaftlicher Macht ablösen kann. Nach Reinwald (1991: 85; ) läßt sich

* der Gründungsmythos einer Gemeinschaft als

Antwort der Menschen auf die Erfahrung

* des Todes,

* der Sexualität und

* des Mangels

deuten, der eine Beschreibung

* der Raum-Zeit Ordnung,

* der Verwandtschaftsbeziehungen und

* der Produktionstechniken

in Verbindung mit einem

* Vermittler enthält, der eine Zwischenstellung zwischen Mensch und Götterwelt einnimmt, wodurch ein

* Feld der Macht

konstitutiert wird.

Wie gehen MUDs mit diesen Kategorien um? Wir können genauer fragen, welche Kategorien überhaupt von Bedeutung in der MUD-Welt sind, andererseits auch, welche Antwort die MUDs jeweils auf die selbstkonstituierten Problemlagen geben. Die Frage nach dem Wie der Problembewältigung kann Ähnlichkeiten und Unterschiede zu anderen Gesellschaftsformen sichtbar machen. Sehen wir näher hin.

Ohne näher ins Detail gehen zu können, soll nur angedeutet werden, daß der Ordnung des Raumes eine relativ große Bedeutung geschenkt wird. Viele MUDs enthalten eine euklidische, analog den Kreuzungspunkten eines rechtwinkeligen Gitters angeordnete Geometrie, manchmal auch in mehreren Ebenen, sozusagen für den Normalverbraucher (siehe Beispiel des IGOR-MUD). Die Frage des Transportes wird in verschiedener Weise gelöst. Standard ist wieder das normale, Schritt für Schritt Zurücklegen seines Weges im Sinne der Windrose plus Up and Down. Privilegierte Mitglieder haben es schon leichter. Sie können Drachen satteln und auf ihnen im Fluge reiten, teleportieren, fahrbare Räume benützen, Geheimtüren durchschreiten. Es wird ganz deutlich, daß der Raum und die Transportmedien nur nach Maßgabe des gesellschaftlichen Ranges, sprich, in Abhängigkeit von der erreichten Punktezahl benützt werden dürfen. Das Soziale prägt die Topologie.

Verwandtschaftsbeziehungen und eine Reflexion über den Ursprung gibt es keine. Die Beziehungen, die eingegangen werden, beruhen auf der freien Partnerwahl. Blutsbande verlieren an Bedeutung, ganz nach dem Muster der Außenwelt, wo die Autonomisierung des Individuums im gesellschaftlich-technischen Verbund zunimmt.

In idealisierter Form tritt das Leistungsprinzip auf: Nicht die Herkunft bestimmt den gesellschaftlichen Rang, sondern das persönliche Geschick: In MUDs ist die Ablösung der Standesgesellschaft durch die Meritokratie bereits vollzogen.

Fragen der Sexualität werden durch gender-swapping umgangen bzw. verflüssigt.

Produktionstechniken sind durch selbst zu erforschende Funktionsweisen von Befehlsfolgen und einzuhaltende Rituale implizit gegeben, stellen auf der Wissensebene des einzelnen zunächst eine persönliche Erfindung und eine Innovation dar.

Probleme des Mangels werden über die reichen Kopiermöglichkeiten im Hyperspace ausgeschlossen oder stellen ein absichtlich integriertes Spielelement dar.

Die Frage des Todes wird durch mehrere Leben bewältigt, die den Akteuren als Belohnung zugewiesen werden. Kommt der virtuelle Tod im Spiel "tatsächlich" vor, wird er vom Spieler als sehr unangenehm erlebt, bedeutet er doch einen erheblichen "realen" Machtverlust, der mit dem Ausschluß aus einer vertraut gewordenen Gemeinschaft eintritt.

Der Heldenmythos ist im MUD hoch im Kurs. Unterschiedlich zu klassischen Mythologien ist jede und jeder ein potentieller Held, der/die allerdings nicht für die Gemeinschaft, sondern meist für sich selbst Opfer bringt und Abenteuer bewältigt.

Mir scheint es interessant, daß in den MUDs, die auf der neuesten Technologie aufsetzen, die wieder auf den fortgeschrittensten wissenschaftlichen Einsichten in die Struktur der Materie beruhen, also inmitten eines Feldes höchster Rationalität, Elemente menschlicher Wirklichkeit abgebildet werden, wie Emotionen, Leidenschaften, Körperlichkeit, Macht. Die Innenseite des Hyperspace erlaubt es, diese Züge der Welt auf spezifische Weise, plastisch und in Gemeinschaft, zu erleben, sich nicht bloß auf argumentativ-begriffliche Weise im reinen Denken mit ihnen auseinanderzusetzen. Hier und an vielen anderen Einfallstoren (Werbung, Videos, Filme) bricht wieder durch, was der neuzeitlichen Wissenschaft und der Aufklärung als längst erledigt erschienen ist.

7. Interpretation II: "Ihr werdet sein wie Gott!"

Euphorisch greifen die Massenmedien die ersten Schritte der Realisierung des Hyperspace mit Wortschöpfungen wie Information-Highway, Datenautobahn, Tele-Working, Tele-Shopping oder Tele-Banking auf. Die Faszination der Massenmedien wie des Publikums durch dieses Thema ist meiner Meinung nach nicht allein mit ökonomischen oder politischen Motiven zu erklären. Ich vermute hinter der Faszination an den elektronischen Netzen eine kulturhistorische Triebkraft, die trotz aller modernen Wissenschaft aus dem christlich geprägten mythischen Bewußtsein der entwickelten Welt in Verbindung mit einem Persönlichkeitstypus, der narzistischen Persönlichkeit, gespeist wird. Diese Triebkraft konkretisiert sich in einer Zeit, in der sich die menschliche Gesellschaft auf diesem Planeten in einer bestandsgefährdenden Krise befindet, und daher für Veränderung (aber auch für Polarisierungen) zugänglicher wird als zuvor. Die Selbstfreisetzung der Menschen aus den tatsächlichen und gedachten Abhängigkeiten erreicht eine neue Stufe. Unser Überleben wird nicht nur durch den Erfolg der traditionellen industriellen mechanischen, chemischen und elektrischen Technologien gefährdet. Heute steht die Identität des Menschen in zweierlei Hinsicht konkret zur Debatte, einerseits durch die Gentechnologie, die an der naturwüchsigen biologischen Ausstattung der Menschen rührt, andererseits durch neue Informationstechnologien, die Stellung und Selbstwertgefühl der Menschen als einzige lebende Wesen mit Intelligenz und Denken zu hinterfragen beginnen.

Angesichts dieser Probleme werden Wünsche, die bisher keine Realisierungschance hatten, mit allen Illusionen, die damit auch hochkommen, an die Oberfläche der Gesellschaft gespült und in der Praxis wirksam. Ein Prozeß der Umsetzung religiöser Phantasie in den menschlichen Alltag setzt sich fort, der mit der Erscheinung des Marktes und des Geldes seinen Ausgang nahm. Das jüngste Gericht wird zur Gegenwart im Markt, die Guten werden belohnt, die Bösen bestraft. Im Geld steigt die göttliche Macht, die laut Feuerbach das menschliche Wesen, laut Marx das gesellschaftliche Wesen der Menschen in phantastischer Weise zum Ausdruck bringt, auf die Erde herab und wohnt unter uns. Jeder kann daher ein Stückchen Göttlichkeit, sprich, das Potential menschlicher Tätigkeit, über Arbeit aktualisierbar, in der Geldbörse mit sich herumtragen. Der Hyperspace bedient weitere Vorstellungen von den Eigenschaften Gottes: Die der Allwissenheit und der Allgegenwart. Damit geht - in aller zu berücksichtigenden Ambivalenz - das Wort der Schlange aus dem Ersten Buch Moses in Erfüllung, die den Menschen im Paradies verheißen hat: "Ihr werdet sein wie Gott!"


Literatur

Bolter, J. D., Writing Space, The Computer, Hypertext, and the History of Writing, Lawrence Erlbaum, Hillsdale, New Jersey 1991

Bolz, N., Am Ende der Gutenberg-Galaxis - Die neuen Kommunikationsverhältnisse, Wilhelm Fink Verlag, München 1993

Dieberger, A., Navigation in Textual Virtual Environments using a City Metaphor, Dissertation, TU-Wien 1994

Purgathofer, P., Planung, Design, Einsatz und Evaluation von vier Generationen eines Hypertext-Autorenwerkzeuges, Dissertation, TU-Wien 1994

Reinwald, H., Mythos und Methode, Wilhelm Fink Verlag, München 1991


Peter Fleissner
Departement for Design and Assessment of Technology/Social Cybernetic
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