Peter Fleissner

Anforderungen an eine nachhaltige Technologiepolitik

In bezug auf Hochtechnologien bietet die österreichische Wirtschaft unter der Perspektive der Globalisierung im Vergleich mit Ländern auf ähnlichem Entwicklungsniveau ein relativ rückständiges Bild. Gleichzeitig ist durch die "normative Kraft des Faktischen" und explizite nationale und internationale Bemühungen die Umweltsensibilität bei Politikern, Managern und Bevölkerung soweit gestiegen, daß sich nach und nach der Druck zu politischem Handeln verstärkt. Aus Gründen der erforderlichen Legitimierung der Tätigkeit der politischen Entscheidungsträger liegt es daher nahe, die nötige ökonomische Umstrukturierung mit anderen, positiv besetzten gesellschaftspolitischen Zielen zu verbinden, vor allem mit dem Ziel der Nachhaltigkeit. Technische Innovationen, die den Standort Österreich konkurrenzfähiger machen könnten und gleichzeitig nichterneuerbare Ressourcen sparen bzw. umweltschädigende Stoffe in geringerem Ausmaß einzusetzen erlauben, stellen eine zwar notwendige, allerdings nicht hinreichende Bedingung für eine Umorientierung in Richtung Nachhaltigkeit dar. Wie sich immer deutlicher zeigt, sind rein technisch orientierte Programme noch keine Garantie für Erfolg. Die Betrachtung des jeweiligen Anwendungskonzepts und des Anwendungskontexts der speziellen, Ressourcen und Energie sparenden Technologie sollte stärker in den Vordergrund gerückt werden. Während die Angebotsseite in den letzten Jahren einigen Grund zu Optimismus bietet (Produkte und Prozesse werden nach und nach umweltfreundlicher, wichtigesmokestake industries schlossen aus ökonomischen Gründen), trifft dies auf die Nachfrageseite leider (noch) nicht zu (wachsende Nachfrage überkompensiert in vielen Fällen die erreichten spezifischen Einsparungen). Es scheint ein Gebot der Stunde, bei Entwicklung einer Technologiepolitik für Nachhaltigkeit eine möglichst ganzheitliche Betrachtungsweise anzuwenden.

Ökonomische Ausgangssituation: "Innovationslücke"

Die Lage des österreichischen Außenhandels an Industriewaren, und insbesondere an Produkten der Hochtechnologie ist im Vergleich mit Ländern ähnlicher Größe und ähnlichen Entwicklungsstandes als prekär zu bezeichnen. Vor allem die Deviseneinnahmen aus dem Fremdenverkehr bilden das zentrale kompensierende Gegengewicht zum chronischen Defizit der Handelsbilanz. Sowohl die Struktur der Warenexporte als auch das Niveau der Unit Values (Preis pro kg) liegen im internationalen Vergleich äußerst ungünstig. So machten etwa 1994 die Produkte der Hochtechnologie im Bereich der humankapitalintensiven Industriewaren nur 8,2% der gesamten Exporte in Österreich aus (in der OECD 17.5%). Für Hochtechnologie erzielten österreichische Exporteure im selben Jahr einen Kilopreis von 20,510 $, während die Schweiz 42,110 $, Schweden 60,125, Finnland 37,150 lukrieren konnten. Im arbeitsintensiven Segment der Hochtechnologie schneidet Österreich noch wesentlich schlechter ab (Österreich 21,792 $, Schweiz 138,368 $, Schweden 123,138 $, Finnland 49,648 $). Immerhin vollzieht sich nach Hutschenreiter und Peneder ein "langsamer Strukturwandel zugunsten humankapitalintensiver Güter sowohl der Hoch- als auch der Gebrauchstechnologie. Die Folge sind eine Verbesserung der Außenhandelsspezialisierung und internationale Marktanteilsgewinne." (Hutschenreiter und Peneder 1997: 110), allerdings startet der Aufholprozeß von einem niedrigen Niveau. Hutschenreiter und Peneder sehen die Ursachen für den Rückstand in einer "Innovationslücke", die vor allem durch das in Österreich besonders niedrige Niveau der Forschungsquote (Österreich 1995: 1,5% am BIP, EU: 2%) verursacht sei. Zwischen 1995 bis 2000 müßten etwa 40 Mrd. S an gesamtwirtschaftlichen Forschungsausgaben in diesem Bereich zusätzlich aufgebracht werden, um den Aufholprozeß auf ein vernünftiges Niveau zu bringen. Den für die nächsten Jahre vorgesehenen "Technologiemilliarden", die sich im Lauf der Debatte immer mehr ausgedünnt haben, müßten weitere Mittel folgen, um eine längerfristige strategische Ausrichtung der österreichischen Technologiepolitik zu ermöglichen. Allerdings braucht es geeignete Konzepte.

Für einen originären Weg der österreichischen Technologiepolitik

Die Technologieförderungsprogramme der EU und auch viele nationale Programme behaupten, daß die elektronischen Informations- und Kommunikationstechnologien, neue Werkstoffe, Mikromaschinen, Bio- und Gentechnologien, Umwelttechnologien, alle Technologien des Energie- und Stoffsparens, und die dazugehörigen Transporttechnologien die Sicherung des jeweiligen Wirtschaftsstandorts gewährleisten würden. Die neuen Technologien müßten auch sozial- und umweltverträglich sein, vor allem nachhaltig, wobei dieses Vokabel nur unklar definiert ist. Diese oder ähnliche Schwerpunkte finden sich in lähmender Wiederholung in den Technologieprogrammen beinahe aller reichen Länder der Erde. An dieser Nachahmung von Land zu Land ist aber nicht nur Phantasiemangel zu konstatieren, sondern gleichzeitig ein tieferliegendes Problem, nämlich daß bei Entwicklung derselben Technologiefelder die zukünftige Konkurrenz mitentsteht. So scheint es etwa müßig, in Österreich den Gigachip zu entwickeln, ein Unterfangen, das von den potentesten transnationalen Konzernen der Welt ohnedies bereits begonnen wurde. Not täte, das Rad nicht ein zweitesmal zu erfinden, sondern originäre Nischen zu besetzen, die für Österreich gleichzeitig positive Seiteneffekte haben würden.

Es ist mir klar, daß dabei der Pfad der Sicherheit verlassen werden müßte, und daß ein solches Vorhaben auch riskanter sein wird, als bloße Imitation der im Ausland begangenen Wege. Aber bei kluger Auswahl, Betreuung und Organisation des Technologiefeldes könnte der Erfolg größer sein als beim Beschreiten ausgetretener Pfade.

Für eine erfolgreiche Technologiewahl ist nicht nur der jeweils neueste Technologietrend von Bedeutung, der an der Politik der Triade-Länder abgelesen werden kann, sondern ein Fülle von Faktoren, die von der Vorgeschichte des Landes abhängig sind. Zu ihnen gehören Produktions- und Marketingerfahrungen in vergleichbaren Technologiefeldern der heimischen Industrie, im Gewerbe oder in den Dienstleistungen, entsprechend qualifizierte Fachkräfte, eine einschlägige Innovations- und Unternehmenskultur, Transport- und Verteilnetze, Finanzierungsinstrumente für Forschung und Entwicklung, Testmärkte, Kooperationspartner im In- und Ausland, um nur einige zu nennen.

Es macht Sinn, vor der Formulierung provisorisch und exemplarisch ausgewählter Technologien nach den Zielen, Prinzipien und Kriterien zu fragen, an denen Technologiepolitik und daher auch Technologieförderung ausgerichtet werden sollen. Die Formulierung politischer Ziele ist höchst notwendig, soll eine Technologiemilliarde nicht bloß einigen ausgewählten Institutionen einen Konkurrenzvorteil verschaffen, sondern für viele Menschen in Österreich grundsätzlichere und nachhaltigere Wirkung zeigen. Es kommt wahrscheinlich nicht so sehr darauf an, der/die erste in der Erfindung eines technischen Prozesses zu sein, sondern eine sinnvolle Anwendung für diesen Prozeß zu entwerfen und diesen nachhaltig zu implementieren (siehe dazu Tichy 1987: 57-58).

Zum Begriff Nachhaltigkeit

Ohne Eulen nach Athen tragen zu wollen und ohne Anspruch auf Vollständigkeit soll - bevor auf Kriterien eingegangen wird - der Begriff Nachhaltigkeit kurz umschrieben werden, um überhaupt deutlich zu machen, was in diesem Kontext darunter verstanden wird.

In erster Näherung kann das vielschichtige, modisch gewordene und mit den unterschiedlichsten Interpretationen und Facetten ausgestattete Konzept der Nachhaltigkeit oder der dauerhaften Entwicklung (siehe etwa Brundtland Report 1987; Daly 1990; Brown 1992; Hauff 1987; Meadows & Meadows 1992; Proops et al 1996; United Nations 1992; van Dieren 1995) "im weitesten Sinne als die Überlebensfähigkeit des Systems 'Mensch in seiner Umwelt' begriffen" (Neunteufel 1997: 10) werden. Im klassischen Brundtland-Report wird dauerhafte Entwicklung wie folgt definiert:

Im wesentlichen ist dauerhafte Entwicklung ein Wandlungsprozeß, in dem die Nutzung der Ressourcen, das Ziel von Institutionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und künftige Potential vergrößern, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen. (Hauff 1987: 49)

Bei Meadows & Meadows (1992: 250-251) heißt es hingegen in systemdynamischer Tradition:

Eine Gesellschaft ist dann nachhaltig, wenn sie so strukturiert ist und sich so verhält, daß sie über alle Generationen existenzfähig bleibt... daß sie ihre eigenen materiellen und sozialen Existenzgrundlagen nicht unterminiert... Im Sinne der Systemforschung ist eine Gesellschaft nachhaltig, wenn sie ausreichend Informations-, Sozial- und Verwaltungsstrukturen besitzt, die in der Lage sind, die positiven Rückkopplungen für exponentielles Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum so zu kontrollieren, daß die Fertilität etwa gleich der Mortalität ist und die Investitionsraten etwa den Raten der Kapitalabnutzung entsprechen.

Diese - teilweise widersprüchlichen - Definitionen, zu denen beliebig viele weitere hinzugefügt werden könnten, lassen viele Fragen offen. Dennoch geben sie eine Ahnung der Zielrichtung. Korrekterweise wird Nachhaltigkeit nicht als ein erreichbares Ziel verstanden, sondern als ein fortwährender Prozeß. Allerdings muß dieser erst präzisiert werden, soll er operational wirksam werden können. Dabei macht es umgekehrt keinen Sinn, nach dem optimalen Prozeß zu suchen. Es gibt ein ganzes Spektrum von verschiedenen Möglichkeiten, bei denen nach neueren Ansichten dem Staat (in Übereinstimmung mit dem hier angezogenen staatlichen technologiepolitischen Konzept) eine wichtige Rolle zukommt, indem er den Markt eher anführt und dessen Bedingungen gestaltet, als daß er dem Markt folgt (Proops et al 1996: 133). Gleichzeitig soll nicht verschwiegen werden, daß in bezug auf Nachhaltigkeit die Beeinflussungsmöglichkeiten eher auf der Angebots-, als auf der Nachfrageseite gesehen werden. Es liegt aber genau hier ein Widerspruch vor: Während auf der Angebotsseite bei den betroffenen Akteuren glücklicherweise bereits eine gewisse Offenheit für "soft technologies", umweltverträglichere, ressourcen- und energiesparende Technologien besteht, erscheint die Nachfrageseite durch den permanenten Wachstumszwang wenig beeinflußbar. Sollte ein Konzept der Nachhaltigkeit je Chance auf eine angemessene Realisierung haben, wird es letztlich nicht ohne Veränderungen auf der Nachfrageseite zustandekommen.

Ohne mir hier die unendliche Aufgabe der "richtigen" Definition von Nachhaltigkeit stellen zu wollen, möchte ich mich doch gegenüber einigen meiner Meinung nach unzulässigen Einschränkungen des Begriffs abgrenzen und einige ergänzende Bemerkungen machen:

* Da unsere Gesellschaft (zumindest) als sozio-technisches System aufgefaßt werden kann, wäre Nachhaltigkeit auf jeden Fall zu eng definiert, würden wir uns ausschließlich auf naturwissenschaftlich-technische Gesichtspunkte beschränken. Je nach Auswahl des zu bewertenden Subsystems kann Nachhaltigkeit in bezug auf verschiedene Ebenen, z.B. in gesundheitlicher, sozialer, wirtschaftlicher, politischer, organisatorischer oder kultureller Hinsich betrachtet werden (auch wenn die technischen Parameter hervorragend wären, wenn etwa der Benzinverbrauch beim Auto auf 3 Liter gesenkt werden kann, könnte dieser Zugewinn durch erhöhte Nachfrage wettgemacht werden)

* Der manchen naheliegende Zusammenhang zwischen ökologischer Verträglichkeit und Nachhaltigkeit (siehe z.B. OECD 1992) darf m. E. nicht als Identität verstanden werden. Ökologische Verträglichkeit muß nicht unbedingt nachhaltig bedeuten (eine saubere Ökodiktatur könnte zu politischen Unruhen führen und das System zerstören)

* Schließlich soll darauf hingewiesen werden, daß Nachhaltigkeit nicht mit dem Konzept der einfachen Reproduktion gleichzusetzen ist. Einfache Reproduktion erlaubt zwar eine hohe Lebensdauer, machte aber eine Umstrukturierung der inneren Triebkräfte des Systems notwendig, sodaß auf jegliches Wachstum verzichtet werden müßte, was die Aufrechterhaltung des status quo auf ewig bedeuten würde.

* Genau genommen kann einfache Reproduktion eines Systems nie funktonieren, da kein materielles System vollständig von seiner Umgebung abgekoppelt existiert, jedes sich reproduzierende System einen positiven Energiegradienten aus der Umgebug nützt und bei Vorhandensein irreversibler Prozesse immer die Entropie erhöht wird. Für die menschliche Gesellschaft wäre ein solcher Ansatz ohne Erhöhung der Entropie nur machbar, wenn wir uns auf Nulldiät zurückziehen (d. h. wir müßten uns aus allen energieverbrauchenden und entropieerzeugenden Aktivitäten zurückziehen, um die Natur ja nicht zu stören, und würden damit erst recht Selbstmord begehen).

* Nachhaltig hingegen könnte ein Prozeß sein, der Reproduktion mit Innovation verbindet, ein Weg, den auch die natürliche Evolution eingeschlagen hat. Innovative Systeme bilden neue Qualitäten aus, die ihnen erlauben, mit den gleichen Randbedingungen in qualitativ neuer, effektiverer oder weniger effektiver Art umzugehen, oder aber auf neue Randbedingungen so zu reagieren, daß die Überlebensfähigkeit des Systems gesichert bleibt. Technische und organisatorische Innovationen spielten und spielen im Prozeß der Entfaltung von Gesellschaften eine wichtige Rolle.

Sind Systeme sowohl reproduktiv als auch innovativ, spreche ich von evolvierenden Systemen. Ein evolvierendes System überlebt in folgender Weise: einerseits erhält es seine Identität, andererseits wird es ein qualitativ anderes. Würde es seine Identität nicht erhalten und nur der Qualitätswechsel im Vordergrund stehen, würde es als das bestimmte System "sterben".

Das Konzept des evolvierenden Systems ist rekursiv anwendbar. Es läßt sich auf "große" Systeme genausogut anwenden wie auf seine einzelnen Elemente (denken wir etwa an die Evolution der Gesellschaft und an die Entwicklung der einzelnen Individuen). Ein System evolviert aktiv, wenn das Zentrum der Veränderung innerhalb des Systems liegt, von dem die Rede ist, es evolviert passiv, wenn es durch verändertes Verhalten auf Veränderungen der Umgebung antwortet. Aktive Evolution ist bei unserem heutigen Gesellschaftssystem der Fall: Durch die der Gesellschaft innewohnende Triebkräfte, allen voran das Profitmotiv und das Streben nach Macht und Einfluß, wurde in den letzten hundert Jahren eine expansive Evolution eingeleitet, die mit den Kosystemen der Gesellschaft in Widerspruch gerät (Beispiele für Kosysteme nach innen: traditionelle Wertsysteme der Menschen, nach außen: Ökosystem). Die Grenze ist erreicht, wenn ein System seine Kosysteme so beeinflußt, daß der eigene Bestand gefährdet wird.

Ein nachhaltiges System ließe sich vom systemtheoretischen Standpunkt aus durch die Einleitung einer qualitativen und quantitativen Evolution des Systems so erzeugen, daß die äußeren Kosysteme mit evolvieren (Koevolution), insofern sie eine notwendige Voraussetzung für die innere Entwicklung darstellen. Diese Möglichkeit scheint mir erfolgversprechender zu sein, zwingt im Falle der menschlichen Gesellschaft den Menschen aber die Verantwortung für ihre Umwelt und die Notwendigkeit der Gestaltung der Beziehung zu ihr auf. In systemtheoretischer Sprache heißt dies eine Ausweitung der Systemgrenzen, innerhalb derer wir agieren. Nicht nur das Gesellschaftssystem, sondern auch das Kosystem der Gesellschaft, unsere gesamt Um-Welt, wird nach und nach unser eigener Garten werden, den wir zu bestellen haben, und für den wir - wenn wir überleben wollen - auch Verantwortung tragen müssen.

Ein evolutives nachhaltiges System sollte also in der Lage sein, bezüglich bestimmter Charakteristika invariant - also mit sich identisch - zu bleiben, bezüglich anderer Eigenschaften jedoch qualitativ und quantitativ veränderlich zu sein, also etwas anderes, neues zu werden.

Ein möglicher theoretischer Rahmen: Systemtheorie zweiter Ordnung

Alle diese Eigenschaften von Systemen lassen sich mit neueren Konzepten der Systemtheorie, der sogenannten Systemtheorie zweiter Ordnung, einigermaßen konsistent beschreiben (Maturana Varelaxxx, von Foerster 19xxx- Buch im Büro, Leydesdorff 1997, Luhmann 1984). Dabei handelt es sich um eine alternative Sichtweise zur Systemtheorie erster Ordnung, die von der technisch orientierten Regelungstheorie ihren Ausgang genommen hat. Während Systeme erster Ordnung aus einer Anzahl wohldefinierter Elemente zusammengesetzt sind, die über ebenso wohldefinierte Relationen miteinander in Beziehung stehen, und von außen als black box betrachtet eine Transformation von Inputs in Outputs bewerkstelligen, wobei auch die Systemgrenzen zur Umwelt ein für allemal festgelegt sind, und eine Simulation des auf diesen Prämissen aufgebauten Modells bei gleichen Anfangsbedingungen das gleiche Resultat liefert, bietet die Systemtheorie zweiter Ordnung ein wesentlich variableres Bild. Effekte, die sich erst während der Simulation selbst herausbilden, sind in der Lage, sowohl die Elemente wie auch ihre Relationen untereinander in quantitativer und qualitativer Weise zu verändern. Unerwartetes kann sich entfalten. Die Eigenzeit, der die Dynamik bestimmter Teilsysteme unterworfen ist, geht in den Systemoutput ein. Dadurch wird die Beschreibung von Evolutionsvorgängen möglich. Der Output von Systemen zweiter Ordnung kann wesentlich variantenreicher sein als der erster Ordnung. Neue Dimensionen können auftreten, die etwa eine optimale Lösung eines Systems erster Ordnung als suboptimal erscheinen lassen.

Allerdings haftet der Systemtheorie zweiter Ordnung eine wesentliche Schwierigkeit an: Die bei Systemen erster Ordnung (sofern sie nicht chaotische Systeme sind) oft vorhandene Prognosemöglichkeit zukünftigen Verhaltens wird problematisch. Ein Grund dafür besteht in der unterschiedlichen Konzeption des Verhältnisses von Trajektorie und Regime in den beiden Systemtheorien: Während eine Trajektorie in der Systemtheorie erster Ordnung bei gegebenen Anfangsbedingungen exakt das Verhalten des Systems symbolisiert, stellt sie aus der Sicht der Systemtheorie zweiter Ordnung nur eine Möglichkeit des Systemverhaltens unter einem bestimmten Regime dar. Damit ist das Regime (im Sinne eines hermeneutischen Zirkels) als eine bestimmte Verteilung von möglichen Trajektorien festgelegt. Das Regime läßt sich empirisch nur anhand von Trajektorien feststellen. Da die empirischen Beobachtungsmöglichkeiten immer beschränkt sind, bedeutet ein bestimmtes Regime nur eine mehr oder weniger wahrscheinliche Hypothese über das Makro-Systemverhalten, von der aus die Trajektorie interpretiert wird.

Folgen wir dieser Sicht, stellt sich ein Regime nachhaltiger Entwicklung als eine Arbeitshypothese heraus, mit der eine Vielzahl von verschiedlichen Trajektorien verträglich ist. Das bedeutet wieder, daß Nachhaltigkeit kein Prokrustesbett sein muß, in das alle Länder, Branchen, Unternehmungen oder Konsumenten einheitlich hineingezwungen werden müssen, sondern daß unterschiedliche Varianten betrachtet werden können.

Drei Betrachtungsebenen von Nachhaltigkeit

Wie wir an anderer Stelle ausgeführt haben (Fleissner et al 1993), läßt sich Nachhaltigkeit unter drei methodologischen Ebenen betrachten. Von einem ganzheitlichen Ansatz aus gesehen kann

* auf der normativen Ebene untersucht werden, ob angesichts der vorhandenen globalen Probleme das Konzept der Nachhaltigkeit für das Handeln der Menschen in der Natur geeignet ist,

* auf der kognitiven Ebene läßt sich fragen, ob Nachhaltigkeit Lösungsmöglichkeiten für die gegenwärtigen Probleme zwischen Mensch und Biosphäre anbieten kann, und drittens läßt sich

* auf der Verfahrensebene untersuchen, was das Konzept für die Wechselwirkung Mensch-Natur im konkreten Einzelfall bedeutet.

Eine Technologiepolitik, die das Konzept der "Nachhaltigkeit" vertritt, hat die Fragen auf den beiden ersten Ebenen bereits positiv beantwortet, steht aber dann vor der Aufgabe, auf der Verfahrensebene den Inhalt des Begriffs Nachhaltigkeit detailliert zu spezifizieren und auf konkrete sozio-technische Systeme anzuwenden. Proops et al (1996) schlagen in diesem Sinne auf der normativen Ebene neben einem "Overall Goal of Sustainability" operationale Ziele (für die längere Frist) und kurzfristige Zwischenziele vor, wodurch man den status quo jeweils verorten und Wege zur Erreichung der Zwischenziele präzise formulieren könnte. Weiter unten wird genauer auf Ziele und Zwischenziele eingegangen. Ich nenne diese Methode der Anwendung von Kriterien oder Indikatorenbündel die "absolute" Methode, im Gegensatz zur "relativen" Vorgangsweise. Letztere vergleicht neue Technologien mit bereits bestehenden. Weisen die neuen Technologien bessere technisch-ökologische Parameter auf als die traditionellen, bleiben sie im Rennen. Wenn nicht, werden sie ausgeschieden (nicht immer werden die einzelnen Fälle so klar entscheidbar sein, vor allem dann, wenn anhand einzelner Indikatoren Verbesserungen, anhand anderer aber Verschlechterungen zu erwarten sind. Dann müssen die einzelnen Indikatoren ev. einer Gewichtung unterworfen werden, die sie zumindest theoretisch vergleichbar macht).

Beide Methoden haben ihre Berechtigung. Allerdings neigt m. E. die absolute Methode dazu, die Planungs- und Umsetzungsmöglichkeiten in Staaten mit kapitalistischen Wirtschaftssystem zu überschätzen.

Sozio-ökologische Indikatoren

Zusätzlich zu den traditionell üblichen Indikatorsystemen zur Beurteilung der Umweltverträglichkeit, die vor allem von ökologischen Zuständen oder Funktionen ausgehen, und daher Ressourcen- oder Artenbestände, Stoff- und Energie- bzw. Entropieflüsse messen, sollten Indikatoren über die Beziehung "Gesellschaft - Ökosystem" in das Beurteilungsverfahren aufgenommen werden. In Österreich hat das IFF bzw. das Ökologieinstitut (Prof. Marina Fischer-Kowalski) derartige Indikatorenbündel entwickelt, ein neueres Beispiel bietet Azar et al (1996). Die dort angegebenen Indikatoren sollen in der Kausalkette zwischen Gesellschaft und Umwelt relativ früh angesiedelt sein, vor allem deshalb, weil häufig lange Verzögerungen zwischen Ursache und Wirkung zu erwarten sind, und die hohe Komplexität des Ökosystems es nahezu unmöglich erscheinen läßt, alle möglichen Wirkungen der einzelnen Ursachen vorherzusagen. Azar et al formulieren vier Prinzipien, die in einer nachhaltigen Gesellschaft gelten sollten:

1. Substanzen, die aus der Lithosphäre extrahiert werden, dürfen in der Ökosphäre nicht systematisch akkumuliert werden ;

2. Durch die Gesellschaft erzeugte Substanzen dürfen in der Ökosphäre nicht systematisch akkumuliert werden;

3. Die physischen Bedingung für die Produktion und Diversität der Ökosphäre dürfen nicht systematisch verschlechtert werden;

4. Die Nutzung von Ressourcen muß effizient und in bezug auf menschliche Bedürfnisse erfolgen.

Vom methodischen Standpunkt aus vergleichbare, vielleicht etwas spezifischere Prinzipien formuliert Ayres (1996):

1. Keine weiteren anthropogenen Einflüsse auf das Klima, d.h. Stabilisierung von Treibhausgasen in der Atmosphäre

2. Stabilisierung des pH-Werts von Regen, von Frischwasser und Boden

3. Keine weitere Akkumulation von giftigen Schwermetallen, radioaktiven Isotopen etc.

4. Keine weitere Nettoextraktion von fossilem Grundwasser in Trockengebieten

5. Keine weitere Bodenerosion größer als die Ablagerungsrate

6. Kein weiterer Verlust an alten Wäldern, Feuchtgebieten etc.

Die Erfüllung dieser Prinzipien werden bei Azar et al und bei Ayres durch spezifische Indikatorenbündel zu erfassen versucht, bei Ayres werden die Prinzipien zusätzlich mit ökonomischen Aktivitäten in Verbindung gebracht, etwa die Verbrennung fossilen Öls als Energielieferant für viele industrielle Prozesse. Ayres kommt zum Schluß, daß die Anwendung obiger Prinzipien die Reduktion oder sogar völlige Einstellung bestimmter Wirtschaftstätigkeiten erforderlich macht.

Einzelne Beispiele von Indikatoren, die als Maße für die Erfüllung der Prinzipien herangezogen werden können, sollen die von Azar et al angewendete Methode illustrieren. Für eine vollständige Liste verweise ich auf die Originalarbeiten.

Ad 1.1 Extraktionsraten einzelner Stoffe bzw. Elemente aus der Lithosphäre: Wenn die Extraktion aus der Lithosphäre gegenüber den natürlichen Ablagerungsprozessen hoch ist, wird es zu Akkumulationsprozessen in der Technosphäre (die mit der menschlichen Gesellschaft verbunden ist) kommen. Die dort akkumulierten Stoffe könnten in die Ökosphäre entweichen.

Ad 1.2 Akkumulierte lithosphärische Extraktion: Dieser Indikator kann als Warnsignal betrachtet werden, etwa für Cadmium oder andere Schwermetalle.

Ad 1.3 Nicht-erneuerbares Energieangebot: Dieser Indikator wird relativ zum gesamten Primärenergieangebot bestimmt.

Ad 1.4 Anthropogene Emissionen, Rezyklierungsgrad, Assimilierungsgrad.

Ad 2.1 Indikatoren für industriell erzeugter Substanzen, die auch als natürliche vorkommen, bzw. Langzeitwirkungen gegenwärtiger Emissionen.

Ad 2.2 Emission industriell erzeugte Substanzen, die in der Natur nicht vorkommen (dauerhafte Chemikalien; deren Langzeitwirkungen).

Ad 2.3 Nichtintendierte künstlich erzeugte dauerhafte Substanzen (Gase aus Mülldeponien, Verbrennungsprozessen etc.), nichtdauerhafte Substanzen (Mutagene) mit Langzeitwirkungen auf natürliche Prozesse.

Ad 3.1 Ernteprozesse und Manipulationen der Natur (Jagd, Fischerei, Erntevorgänge, Grundwasserextraktion; Dammbau, Aufforstung, Abholzung; Genmanipulation, Tierzucht, Pflanzenzucht).

Ad 3.2 Großräumige Veränderung der Landnutzung (Bebauung, Brandrodung etc.).

Ad 3.3 Bodenerosion, Bodennährstoffbilanz, Biodiversität der Wälder.

Ad 3.4 Wassernutzung von Flüssen, Seen und Meeren (Fischfang, maximale Ertragsrate).

Ad 4.1 Gesamte Effizienz des gesellschaftlichen Stoffwechsels.

Ad 4.2 (Un-)gleichheit innerhalb einer Generation.

Ad 4.3 (Un-)gleichheit zwischen den Generationen.

Ad 4.4 Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse.

Dieser hier angeführte Katalog besitzt eher top-down-Charakter und scheint gut für große Aggregate geeignet. Für spezielle Technologien und ihre Anwendungen hält sich die Aussagefähigkeit der Indikatoren aber in Grenzen. Besser wären Indikatoren oder Maßzahlen, die näher den technischen und organisatorischen, ökonomischen oder sozialen Eigenschaften der Technologien bzw. deren Anwendungsbedingungen liegen als die oben angeführten Emissions- oder Immissionsindikatoren.

Indikatoren für IKM-Technologien

Für elektronische Informations-, Kommunikations- und Medientechnologien lassen sich auf der technischen Ebene durchaus Kriterien angeben, die mit den oben angeführten Prinzipien harmonieren, etwa:

* Zunehmende Entstofflichung der Produkte und Prozesse (dematerialization mit Entmaterialisierung zu übersetzen entspricht nicht der intendierten Aussage), von der Mechanik zur (Mikro- bzw. Nano-)Elektronik

* Einsparung an Materialien und Energie

* Substitution von Materialien, die mit hohem Energieaufwand erzeugt werden

* Umweltfreundliches Re-Engineering von Produktionsprozessen

* Re-Engineering in bezug auf leichtere Entsorgung und geringeren Gehalt an toxischen oder sonst schädlichen Stoffen in den Produkten

* Kontinuierliche statt batch-Produktion

* Erhöhte Lebensdauer für dauerhafte Konsum- und Investitionsgüter

* Schwerpunktverschiebung in Richtung Dienstleistungen, vor allem jene, die auf elektronischem Wege angeboten und verteilt werden können

* Automatisierung via Elektronik statt manueller Steuerung

* Beschleunigung des Produktionsprozesses

* Flexibilisierung der Produktion

* Verbesserung der Logistik im Bestellwesen, Lagerhaltung, Lieferung und Zahlungsverkehr durch elektronische Mittel

* Leistungsfähige Informationsinfrastruktur innerhalb der und zwischen den Unternehmen (in Verbindung mit einer leistungsfähigen Makroinfrastruktur)

* Benutzerfreundliches User-Interface-Design zur Vermeidung von Fehlbedienungen, Erhöhung des Gebrauchswerts und des Bedienkomforts

Diese Anforderungen an die Veränderungen vorwiegend technischer Parameter von Produkten und Prozessen sind eine unabdingbare Voraussetzung für die Umstellung auf einen nachhaltigen Entwicklungspfad, allerdings sind sie nur als notwendige, keineswegs schon als hinreichende Bedingungen anzusehen.

Nicht-technische Nachhaltigkeitskriterien

Neben den technischen Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit sind die ökonomischen, sozialen, politischen, organisatorischen, kulturellen etc. Anwendungsbedingungen bzw. der jeweilige Kontext von besonderer Wichtigkeit, nicht nur für die Akzeptanz und die Durchsetzungsfähigkeit von Technologien, sondern auch für die Erfüllung von Kriterien der Nachhaltigkeit selbst.

Als Musterbeispiel für die hier vertretene Argumentation soll Telearbeit betrachtet werden. Telearbeit wird von den Angestellten zuhause oder in Telezentren mit etwa der gleichen Technik ausgeübt wie im Betrieb. Auf der technischen Ebene ist kaum ein Unterschied festzustellen. Wenn es aber etwa

* um die ökonomischen Bedingungen (wonach wird bezahlt, nach Arbeits- oder Anwesenheitsstunden, nach Leistung?),

* um die Arbeitsmarktrelevanz (werden neue Arbeitsplätze geschaffenß Werden pathogene Arbeitsplätze abgebautß Werden Arbeitsplätze ins Ausland verlagertß),

* um die Zeiteinteilung (gibt es eine Anwesenheitspflicht, gleitzeitähnliche Verhältnisse, Nachtarbeitsverbotß),

* um die ökologische Gesamtbelastung des sozio-technischen Systems (wird weniger gependelt oder eventuell mehr, allerdings nicht in die Firma, sondern per PKW oder Wohnwagen in Naturschutzgebiete, von denen aus Telearbeit getätigt wirdß),

* um die sozialen Folgen (bleiben die traditionellen Sozialleistungen erhaltenß),

* um Demokratieverträglichkeit (sind Telearbeiter in der Lage, ihre Interessen adäquat zu vertretenß) oder

* um psychische Prozesse (treten vermehrt Isolationsgefühle auf; fühlen sich die Menschen autonomer)

geht, kann Telearbeit je nach Kontext und Anwendungsbedingungen höchst unterschiedliche Effekte haben, die für oder gegen Nachhaltigkeit gerichtet sein können.

Es wird daher vorgeschlagen, einen Kriterienkatalog auszuarbeiten, der Kontext und Anwendungsbedingungen einer speziellen Innovation in Hinblick auf ökonomische, arbeitsmarktrelevante, soziale, gesundheitliche, politische, organisatorische und kulturelle Nachhaltigkeit zu prüfen erlaubt.

Um zu illustrieren, welche Technologiearten, Kontexte und Anwendungsbedingungen für eine Förderung nach obigen Kriterien infrage kämen, sollen einige Beispiele angeführt werden:

Beipiel 1

"Elektronische Haushaltsvernetzung" (Dietrich 1996) oder "Intelligent Home Technology" (Heimer 1996):

Dabei handelt es sich um eine spezifische Kombination aus Übertragungstechnik, Mikroprozessoren, Sensor- und Meßtechnik, Aktor- und Effektortechnik, die in industriellen Sektoren bereits eingeführt wurde. Sie könnte auch in den privaten Haushalt Einzug halten. Sie stellt als sogenanntes Feldbus-System die unterste Ebene globaler elektronischer Netzwerke dar (die höchste wird durch Global Air Networks, z.B. Erdsatellitensysteme repräsentiert, unterhalb liegen WANs, Wide Area Networks, z.B. ISDN oder ATM, darunter LANs, Local Area Networks, z.B. Intranets). In Kraftfahrzeugen hat das Prinzip der Feldbussysteme bei BMW und Mercedes zu einem Ersatz der bisher etwa 2.5 km langen Kabelstränge pro Kraftfahrzeug durch 5 bis 6 Computer, 3 bis 4 hierarchisch vernetzte Bussysteme mit rund 600 m langen Kabeln geführt. Dabei gilt das Prinzip der Informationsredundanz: Die Elektronik beobachtet und überwacht alle zu steuernden Prozesse und Einzelkomponenten, das Umfeld und sich selbst. Die Anwendungsmöglichkeiten sind Legion: Automatische Lichtabschaltung, Einbruchssicherung, Meldung offener bzw. geschlossener Fenster, Kontrolle der Wasch- und Geschirrspülmaschinen, der Heizungsüberwachung und Heizungssteuerung (etwa je nach Sonneneinstrahlung), Überwachung der Spülkasten, Brandmelder, einschließlich der Verständigung des Wartungs- und Servicepersonals und der Fernkontrolle und Überwachung der Haushaltstechnik via Telefon oder Internet.

Der Verfall der Hardwarepreise macht elektronische Haushaltsvollvernetzung ökonomisch möglich. Für die nächsten 5 bis 10 Jahre zeichnet sich ein großes Marktpotential ab.

Der Nachhaltigkeitsgrad der Einführung einer derartigen Technologie wird wesentlich von den Anwendungskonzepten (was wird vom Feldbus-System alles kontrolliert) und dem Kontext abhängen (er wird nach Wohnungsgröße und -art variieren, nach dem Heizungstyp, nach der Wärmedämmungsqualität usw.). Soll eine derartige Technologie gefördert werden? Hier zeichnet sich keine simple Antwort ab. Die Variablen, die berücksichtigt werden müssen, sind zahlreich, beginnend mit dem Herstellungs-, Installations-, Betriebs- und Entsorgungsaufwand für die einzelnen Komponenten bis zum Nutzen des Gesamtsystems in Hinblick auf die ökologische, ökonomische und persönliche Dimension.

Beispiel 2

Verkehrstelematik zur Entlastung der Innenstädte (Scapolo 97):

Hier geht es nicht eigentlich um eine einzelne technische Innovation, sondern um die Schaffung eines komplexen Systems, das durch die Kopplung von Informationstechnologie und Kommunikation mit technischen Neuerungen die Verkehrssicherheit verbessert, die Effizienz im Straßenverkehr optimiert, die ökologische Gesamtsituation positiv beeinflußt und die Ausnützung der vorhandenen Verkehrsnetze erhöht. Dazu zählen (mit unterschiedlichem Zeitpunkt für das Auftreten einer technisch ausgereiften Lösung) Verkehrsinformationssysteme in Echtzeit, Verkehrsinformationssysteme über den ruhenden Verkehr, Notruf, dynamische Fahrtstreckenanpassung, Kollisionswarnung, intelligente Geschwindigkeitsregelung, automatisches Zusatzbremssystem und autonome fahrbahnspezifische Bremssysteme. Obwohl der gesamte Ressourcenverbrauch des Verkehrssystems nicht zurückgehen wird, sinkt ev. der spezifische Ressourcenverbrauch (etwa je Tonnenkilometer oder Personenkilometer). Es stehen derzeit zwei unterschiedliche technisch-organisatorische Grundprinzipien zur Debatte, das bimodale Lenkungssystem (bestehend aus zwei Komponenten, dem Fahrzeugleitsystem, einer Verkehrslenkungszentrale und der Kommunikation zwischen den beiden, ev. via Zellulartelefontechnologie) und die Transpondersysteme für die automatische Fahrzeugortung (Automatic Vehicle Location - AVL) mit einer flexiblen Steuerung von Signalschaltungen unter Vorrang des öffentlichen Nahverkehrs. Von großer Bedeutung scheint eine frühe Harmonisierung derartiger Systeme zu sein, sollen sich nicht die einzelnen Städte zueinander als inkompatible Inseln verhalten. Die Einschätzung einer vom Institute for Prospective Technology Studies durchgeführten Delphi-Befragung von Experten weist darauf hin, daß "ohne eine geeignete Verkehrspolitik allerdings, die u. a. Maßnahmen zur Förderung des öffentlichen Verkehrssektors einschließen müßte, ... das Verkehrsaufkommen nicht verringert" werden würde (Scapolo 1997: 24). Diese Aussage verstärkt einmal mehr mein obiges Argument der Wichtigkeit von Anwendungskontext und Anwendungkonzept zur Beurteilung der Nachhaltigkeit.

Weitere Beispiele

in Stichworten

* Präsentation der öffentlichen Verwaltungen im Netz (Digital Cities)

* Telebibliotheken und Telemuseen

* Ärztliche Beratung via TV-Schirm oder via ISDN-Videotelephon

* Cybermärkte im Netz mit Hauszustellung ersetzen den Supermarkteinkauf (vor allem für Ältere und Behinderte)

* Entwicklung von Edutainment-Materialien (Achtung: Großer Markt notwendig)

* Automatisierung und Elektronisierung landwirtschaftlicher Teilbereiche (vom Weinmarketing des Stiftes Göttweig bis zum Steuern von Gewächshäusern)

* "Nano-plastische" Möbel, die sich mithilfe von molekülgroßen Mikromaschinen jeder Person anpassen (FutureTimes 1997: 3, Winter 1997, S. 3)

Abschließend soll darauf hingewiesen werden, daß ein erfolgversprechender Weg nicht nur im Bereich von Hochtechnologien zu finden ist, sondern auch im intelligenten Redesign traditioneller und häufig angewandter Verfahren und Dienstleistungen (eine beeindruckende Demonstration des darin verborgenen Potentials wurde im Sommer 1996 anhand eines Berichts über eine Studie des BMWVF über Schachtarbeiten und Erdaushub in Städten geboten).

Vom Einzelprodukt zu gemischten Netzwerken von Produkten und Dienstleistungen

Generell wird Österreich weniger von punktuellen Studien oder Projekten in Technikbereichen profitieren, die gefördert werden sollen, sondern eher von einem innovationsfreundlichen organisatorischen Setting, das gezielt (affirmative und kritische) Vorstellungen über mögliche technische Neuerungen hervorbringt, sie im experimentellen Stadium in Erfindungen realisiert, bis zur Marktreife entwickelt und als Innovationen auf möglichst auch ausländischen Märkten positioniert. Damit aber nicht genug. Die Innovation sollte sich nicht darin erschöpfen, daß Einzelteile, Geräte oder Dienste isoliert erzeugt werden, sondern sie sollte in integrierte Netzwerke der Marktbetreuung und -entwicklung eingebettet werden, die von Informations-, Bestell-, Bezahl-, Betreuungs-, Gewährleistungs-, Wartungs-, bis zu Entsorgungsfunktionen reichen, wobei jeweils auf die vorhandenen informationstechnologischen Infrastrukturen (bei Produzenten, Intermediären und Verbrauchern) explizit Rücksicht genommen werden sollte. Diese Marktbetreuung dient nicht nur als Einbahnstraße für Lieferungen und Leistungen von der Firma zu den Kunden. Auch der Rückkanal wäre auszubauen. Die Äußerungen, die vom Kunden über das Produkt oder die Leistung getan werden, sind wertvoller Input für die weitere Entwicklungsarbeit. Sie können dabei helfen, den internationalen Konkurrenten durch eine Art "legalen Protektionismus" paroli zu bieten. Ähnliche Überlegungen hat Prof. Clement in seiner Studie über "Servoindustrien" (1996) angestellt.

Kontinuierliches Lernen von und in Organsiationen

Weiters sollten wir uns von der Vorstellung verabschieden, ein kontinuierlicher Fluß von Innovationen würden sich aus einer einmaligen Anstrengung heraus ergeben. Bessant (1997: 1) stellt fest, daß Innovation vor allem in "incremental problem solving" besteht und daß der große innovative Durchbruch, obwohl spektakulär, nur einen kleinen Prozentsatz aller innovativen Tätigkeiten ausmacht. Ebenso wäre Innovation nicht allein vom Expertenwissen und besonderen Fähigkeiten der Spezialisten abhängig, sondern viele Teilprobleme würden vielmehr durch andere Mitglieder der Organisation gelöst. Continuous improvement wäre das Konzept, das für einen permanenten Innovationsfluß auf qualitativ immer höherem Niveau sorgen könnte. Inspiriert ist dieses Konzept vom japanischen kaizen, mit dessen Hilfe große Unternehmen wie Matushita, Toyota und Nissan heute Millionen von Verbesserungsvorschlägen erhalten und eine Mehrheit von ihnen auch implementieren. Natürlich ist der häufig vorgebrachte Einwand, kaizen wäre nicht auf europäische Verhältnisse übertragbar, da diese Innovationsmethode aus einer anderen Kultur stammen würde, nicht unberechtigt. Interessant ist aber auch, daß die ursprüngliche Idee von kaizen nach Bessant (p. 2) aus den USA, und zum kleineren Teil, aus dem Europa der 20er und 30er Jahre stammt und im Zuge des Nachkriegs-Wiederaufbauprogramms Japan erreichte. Die Idee der kontinuierlichen Verbesserung zeigt sich heute unter unterschiedlichen Namen (TQM: Total Quality Management, ISO 9000, BPR: business-process re-engineering, QUALIT: quality management im ESPRIT Programm der EU) in vielen Anwendungen in Europa. Am erfolgreichsten war sie im Bereich des Layouts von Arbeitsplätzen und des Produktionsprozesses selbst, aber bei entsprechender Schulung lassen sich wesentliche Verbesserungen auch bei Hilfsprozessen und allgemeinen Verwaltungs-, Forschungs- und Bildungsaktivitäten erreichen.

Die Richtung der continuous improvements kann im Einzelfall z.B. durch präzise Informationen über die BATs (best available technologies) oder über Unternehmen mit best practice, die aufgrund des sogenannten benchmarking gefunden werden, beeinflußt werden. Interessensvertretungen oder nationale/internationale staatliche Stellen könnten solche Informationen sammeln und weitergeben.

Innovationsdialog

Der Aufbau entsprechender Innovationssysteme sollte nicht vom grünen Tisch weg erfolgen, sondern erfordert bereits ein eigenes Netzwerk, eine Kommunikationsinfrastruktur von Produzenten, Kaufleuten, Designern, Marketingexperten, Finanziers, Politikern und potentiellen Konsumenten, ich nenne es einen Innovationsdialog. Diese Dialog sollte in moderierten Gesprächen bis zu praxisrelevanten und der Situation adäquaten Entscheidungen geführt werden und in der Lage sein, die Beschlüsse dann auch in die Praxis zu überführen. Eine relativ einfache und billige Sache wäre die Einrichtung einer Ideenbank mit einer damit verbundenen und moderierten Kommunikationsinfrastruktur (ev. auf WWW-Basis) mit dem Ziel, Cluster von Interessenten zu bilden, die inhaltlich eigenständig förderungswürdige Vorschläge erarbeiten und (ev. beim Innovations und Technologiefonds) einbringen. Die Ideensuche und die Synergieeffekte könnten auf regionaler Ebene organisiert werden. Wichtig ist dabei eine unbürokratische, offene, serviceorientierte Grundhaltung, vor allem der Moderation, sonst scheitert das Unternehmen noch vor seinem Beginn.

Als ceterum censeo und letzte Bemerkung möchte ich auf die hoffentlich schon zur üblichen Praxis gewordene Erfordernis einer Projektevaluierung verweisen. Sie sollte sowohl einerseits parallel zum Projektablauf erfolgen, als auch zu einem nicht zu kurz nach Fertigstellung festgelegten Zeitpunkt (mindesten 2 Jahre), damit ev. Implementierungseffekte analysiert werden können (siehe dazu Kuhlmann 1995).

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